Sterben – Ein harter Film über die Intensität des Lebens

Schwarzhumoriges Porträt einer emotional verwahrlosten Familie, die mit Krankheit und Tod, Entfremdung und Selbstzerstörung konfrontiert ist.

Lissy (Corinna Harfouch) kann sich nicht mehr einreden, dass alles in Ordnung ist. Ihr dementer Mann Gerd (Hans-Uwe Bauer) ist gerade wieder mit entblößtem Unterleib stiften gegangen, und die 70-Jährige selbst liegt bewegungslos in ihren eigenen Exkrementen.

Auf diese Erkenntnis folgt Pragmatismus: Der Mann kommt ins Heim, während sich die krebskranke Frau weiter durch ihren Alltag quält. Das erste Kapitel des Films “Sterben” von Matthias Glasner blickt nüchtern auf den nahenden Tod. Stärker als Angst und Traurigkeit sind Ermattung und Sehnsucht nach Erlösung. Auf eine ohnehin nur mittelfristig wirksame Therapie hat Lissy schlichtweg keine Lust mehr: “So schön ist mein Leben nun auch nicht.”

In “Sterben” wird der Ausklang des Lebens von entwürdigenden und bürokratischen Prozessen begleitet. Um eine höhere Pflegestufe zu bekommen, muss sich Lissy schwach geben, tut aus Selbstachtung aber das genaue Gegenteil. Die slapstickartige Musik im Vorspann verrät aber auch, dass “Sterben” seinem Thema die Schwere nehmen will. Ungeschminkt ist der Blick auf die Figuren und ihre missliche Lage, frei von Sentimentalität, dafür aber mit reichlich Galgenhumor.

Als die gestürzte Lissy ihren Sohn, den Dirigenten Tom (Lars Eidinger), anruft, hebt sie dabei immer wieder angewidert den kotverschmierten Telefonhörer von sich weg. Wenn Mutter und Sohn sich später bei einem langen, grausam ehrlichen Gespräch gegenübersitzen, schneidet der Film mehrmals in eine Totale. Im Vordergrund ist da ein kitschiges Porzellankätzchen zu sehen, das direkt in die Kamera glotzt.

Im zweiten Kapitel widmet sich Glasner Tom, der altersbedingt noch eine eher abstrakte Beziehung zum Sterben hat. Da er aber gerade eine Symphonie seines depressiven Komponistenfreundes Bernard (Robert Gwisdek) einstudiert, die denselben Titel trägt wie der Film, muss er dem Thema nahekommen. Das geschieht, als Tom seinen Vater Gerd im Heim besucht und dessen geistigem Verfall hilflos gegenübersteht. Bei den Proben am nächsten Tag scheint er dem Kern der Symphonie durch diese Erfahrung näherzukommen. Der Dirigent wirkt ergriffen, befindet sich in seiner Selbstbesoffenheit aber auch auf dem Holzweg.

So wie Glasner beim Tod mit reichlich schwarzem Humor jegliches Pathos vermeidet, erliegt er ihm umso mehr, wenn es um die existenziellen Krisen eines hippen Berliner Kulturbürgertums geht. Das Elektroauto, das seinen Geist aufgibt, oder die lässige Mütze mit der Aufschrift “Don’t Panic” wirken mitunter zwar wie ironische Brechungen, aber der Film gibt sich dann auch wieder ganz dem ichbezogenen Weltschmerz seiner Figuren hin.

Dass Tom mit seiner Ex-Freundin (Anna Bederke) einst ein Baby verlor und nun Ersatzvater für das Kind eines Anderen ist, bringt zwei weitere Motive ein. Geburt und Tod folgen nicht aufeinander, sondern überschneiden sich. Im Gespräch mit seiner verhassten Mutter wird Tom klar, dass er der gleiche emotionale Gefrierschrank wie sie ist.

Spätestens beim dritten Kapitel entsteht der Eindruck, dass Glasner weniger einen Film übers Sterben gemacht hat als vielmehr eine schwarze Komödie über eine psychisch verwahrloste Familie. Nun geht es um Toms Schwester Ellen, eine Zahnarzthelferin, die es zum Alkohol und zu falschen Männern zieht. Die Wunden ihrer Kindheit trägt sie deutlich nach außen.

Ellens Eskapaden wirken mitunter mitreißend, verlieren sich aber auch in Unwesentlichem. Überhaupt mangelt es dem zunehmend zerfransenden “Sterben” ein wenig an Zuspitzung. Das Verbindende seiner Erzählung gerät teilweise völlig in den Hintergrund. Gerade Ellens Geschichte wirkt wie losgelöst vom restlichen Film.

Zum Schluss verdichtet sich der Film in einem ungewohnt sentimentalen, dramaturgisch aber durchaus schlüssigen Finale doch wieder. Während der notorisch unterkühlte Tom die Symphonie dirigiert, lernt er über die Musik zu trauern. Anlass für diese Erkenntnis ist auch, dass sein Freund die Komposition noch einmal entscheidend umgeschrieben hat. Vom übermächtigen Chor verlagert sich der Schwerpunkt auf eine Solistin. Das zuvor abstrakte Todesthema wird nun durch den Schmerz einer Hinterbliebenen konkret.