Steinmeier: Wir müssen eine kämpferische Demokratie sein

Zum 75-jährigen Bestehen des Grundgesetzes hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Bürgerinnen und Bürger aufgerufen, die Errungenschaften von Freiheit und Demokratie zu verteidigen. Mit Blick auf die deutsche Geschichte sagte der Bundespräsident am Donnerstag beim Staatsakt zur Feier des Grundgesetzes in Berlin, wer heute die Demokratie bekämpfe, „muss wissen, dass er es dieses Mal mit einer kämpferischen Demokratie und mit kämpferischen Demokratinnen und Demokraten zu tun hat.“

Steinmeier ließ vor den Festgästen und Spitzen der Verfassungsorgane keinen Zweifel daran, dass sich am Feiertag für das Grundgesetz auch Unbehagen in den Stolz auf die deutsche Verfassung mische. Viele Menschen fragten, was von den großen Versprechen des Grundgesetzes bleibe, wenn Hass, Diskriminierung und Angriffe nahezu alltäglich seien. Folgen müsse daraus aber nicht ein kritischer Blick auf die Verfassung, sondern auf die Wirklichkeit, forderte der Bundespräsident. Das Grundgesetz sei dazu Kompass und Auftrag: „Unser Grundgesetz zeigt, was wir sein können.“

Steinmeier würdigte das Grundgesetz als ein „Meisterwerk“. Es habe ein Provisorium sein sollen, gehöre aber „zu dem Besten, was Deutschland hervorgebracht hat“. Das Land feiere ein doppeltes Jubiläum von 75 Jahren Grundgesetz und 35 Jahren Mauerfall. Dem Mut vieler Frauen und Männer in der DDR sei zu verdanken, dass sich das Freiheitsversprechen des Grundgesetzes von 1949 nach 1989 für alle Deutschen habe erfüllen können, sagte Steinmeier: „Grundgesetz und Friedliche Revolution, was ist das für ein Glück, das wir da in unseren Händen halten!“

Eindringlich mahnte der Bundespräsident, „in einer Zeit der Bewährung“ eine demokratiegefährdende Entfremdung zwischen Politik und Bevölkerung nicht zuzulassen. Politiker und Politikerinnen müssten ihr Handeln erklären und die Fragen der Menschen ernst nehmen. „Es sind keine Extremisten, die sie stellen“, betonte Steinmeier. Niemals aber dürfe sich die Gesellschaft an Gewalt im politischen Meinungskampf gewöhnen. Die Demokratie vertrage Wettbewerb und Streit – Gewalt aber zerstöre Demokratie.

Als Reaktion auf den Angriffskrieg gegen die Ukraine und die Bedrohung, die von Russland auch für Deutschland ausgehe, forderte Steinmeier Investitionen in die Verteidigung und eine Debatte über Formen des Wehrdienstes in Kombination mit anderen Diensten für die Gemeinschaft. Steinmeier setzt sich für einen sozialen Pflichtdienst ein.

Auf den Staatsakt folgt von Freitag an bis Sonntag ein Demokratiefest im Berliner Regierungsviertel. Unter anderem stellen sich Repräsentanten der Verfassungsorgane dem Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern.