Solidargemeinschaft muss handeln

Diakonie und Caritas fordern schnelle Lösung für die versprochene Pflegereform

Gemeinsam setzen sich die kirchlichen Träger dafür ein, dass es in den nächsten vier Wochen ­wenigstens zu politischen Teil­reformen in der stationären und ambulanten Altenpflege kommt. 

Von Uli Schulte Döinghaus

Die politische Uhr tickt. Nur noch bis zum 3. Juli haben der Deutsche Bundestag und die Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD Zeit, um Teile einer versprochenen Pflegereform auf den Weg zu bringen. Danach beginnen parlamentarische Sommerpause und Wahlkampf zum nächsten Bundestag. Evangelische Diakonie und katholische Caritas, die großen kirchlichen Anbieter von ambulanter und stationärer Altenpflege, ­drücken auf die Tube. „Zur Not im Schnellverfahren“, so Diakonie-­Präsident Ulrich Lilie, müssten etwa Initiativen für eine bessere ­Be­zahlung und Ausstattung aller ­Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der ­Altenpflege gesichert werden. 

Private Träger zahlen weniger

Ende Februar waren Versuche ­gescheitert, einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag für alle ­Beschäftigten in der Altenpflege zu installieren. Die Arbeitgeber der ­Caritas hatten dies verhindert; ­diakonische Dienstgeber gaben sich machtlos.

Fachkräfte in der Altenpflege erhalten zurzeit zwischen 2800 und 3400 Euro im öffentlichen Dienst, ähnlich im kirchlichen Dienst. Private Träger zahlen etwa 10 Prozent weniger, heißt es. „Viele Pflegekräfte in der Altenhilfe außerhalb von Caritas und Diakonie verdienen oft nur einen geringen Lohn oder nur knapp über dem Mindestlohn“, kritisiert Caritas-Präsident Peter Neher die privaten Betreiber. 

Sie sollen per Gesetz gezwungen werden, faire Tarifverträge abzuschließen und „Tariftreue“ zu wahren. Aber: Gesundheitsminister Jens Spahn möchte ein sogenanntes „ortsübliches Entlohnungsniveau“ einarbeiten. Für Carit­­­­­­­­­­as und ­Diakonie sei das ein Einfallstor für niedrige Löhne, so hieß es kurz vor Pfingsten ­­­­­in einer gemeinsamen Pressekonferenz. Kirchliche Sozialverbände befürchten einen Lohnwettbewerb „nach unten“ – zu ihrem Nachteil.  

Die Sorge ist berechtigt. Denn die – wachsende – Markt- und Preismacht der „Privaten“ ist beträchtlich. „Sie erzeugen gnadenlosen ­Kostendruck und verhindern damit gute Arbeitsbedingungen im ­Gesundheits- und Pflegesektor“, warnte die Wirtschaftsprofessorin und Regierungsberaterin Uta Meier-Gräwe neulich im Handelsblatt.   

Ein lukrativer Markt

Deutschlands Pflegeversicherungen zahlen pro Jahr 41 Milliarden Euro an ihre betagten und pflegebedürftigen Leistungsempfänger aus. Davon entfallen auf die „stationäre“ Pflege in Heimen und Wohngemeinschaften rund 15 Milliarden Euro, der Rest ist ambulante Pflege. Ein lukrativer Markt. Konsequenz: Fast die Hälfte (44 Prozent) aller Altenpflegeheime ist in privater Trägerschaft. Dagegen sinkt der Anteil der frei­gemeinnützigen Träger, zu denen auch Caritas und Diakonie gehören. 

Überall in der Altenpflege herrscht Mangel an Fach- und Hilfskräften. Eine einzige arbeitssuchende Altenpflegerin oder Altenpfleger kann zwischen vier Stellenangeboten und mehr auswählen, heißt es aus Arbeitsverwaltungen. Viele Beschäftigte und „ihre“ Pflegebedürftigen beklagen eine extrem verdichtete Arbeitsbelastung – zu wenige müssen sich um zu viele in zu kurzer Zeit kümmern. Um sie zu entlasten und den Beruf attraktiver zu machen, unterstützen Diakonie und Caritas bessere Personalbemessungen. 

Darüber wird in einer „Konzertierten Aktion Pflege“ nachgedacht, an der die Bundesministerien für Gesundheit (Spahn/CDU) und Arbeit (Heil/SPD) beteiligt sind. Ihre Rechnung bringt Bedenkenträger auf den Plan: Selbst ein abgespecktes Pflegereförmchen, bestehend aus Tariftreue, besserer Personalausstattung und gedeckeltem Eigenanteil der zu Pflegenden und ihrer Angehörigen, würde knapp 6,5 Milliarden Euro jährlich mehr erfordern als heute. 

Mindestens jede*r dritte Heimbewohner*in ist auf Sozialhilfe ­angewiesen, weil die Leistungen „ihrer“ Pflegeversicherung plus Rente immer öfter nicht ausreichen, um alle Heimkosten zahlen zu können. Zuletzt mussten Pflegebedürftige für die Unterbringung in Pflegeheimen im Bundesdurchschnitt einen Eigenanteil von knapp 2068 Euro pro Monat zahlen. Durchschnittliche Bruttorente in Deutschland: rund 1400 Euro monatlich. 

Die Kosten sind längst nicht mehr vertretbar

„Die Kosten für die pflegebedürftigen Menschen und ihre Angehörigen liegen längst über jeder vertretbaren und vernünftigen Grenze“, sagt Diakonie-Präsident Ulrich Lilie. Im politischen Gespräch ist nun –auch wenn es zu einer umfassenden Pflegereform vielleicht erst in der nächsten Wahlperiode kommt –  eine schrittweise, prozentuale ­Begrenzung („Deckelung“) des individuellen Anteils der Pflegebedürftigen an den Kosten. In einer älter werdenden Gesellschaft müsse die Solidargemeinschaft aller die Pflege tragen und sichern, fordern Diakonie und Caritas. 

Um dies auf den Weg zu bringen, haben Regierungskoalition und ­Parlament nur noch vier Wochen Zeit. Die politische Uhr tickt.