Schuld oder Übel

Wie verändert der Überfall Russlands auf die Ukraine den Blick der evangelischen Kirche auf Krieg und Frieden? Vom Ringen der Kirche um ihre Haltung zu den Mitteln, die im Krieg legitim sind.

Sind Waffen ein legitimes Mittel zur Wiederherstellung von Frieden? Die Meinungen gehen innerhalb der evangelischen Kirche auseinander.
Sind Waffen ein legitimes Mittel zur Wiederherstellung von Frieden? Die Meinungen gehen innerhalb der evangelischen Kirche auseinander.TSEW

Kürzlich gab es ein bemerkenswertes Treffen. Auf der einen Seite: Margot Käßmann, als frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland lange im Ruhestand, aber immer noch eine der bekanntesten Stimmen hierzulande. Ihr gegenüber: Petra Bahr, Regionalbischöfin in Hannover, Mitglied im Deutschen Ethikrat. Die beiden diskutierten auf Einladung der Wochenzeitung „Zeit“, welche Haltung die Kirche angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine einnehmen müsse. Bahr und Käßmann sind langjährige Weggefährtinnen. Trotzdem schien ihr Gespräch immer haarscharf an einem handfesten Streit vorbeizuschrammen.

Dieser Streit ist derzeit weit verbreitet. Der Ukraine beistehen? Ja! Aber wie – mit Waffen (Bahr)? Oder gewaltlos (Käßmann)?

Grundlegende Glaubens- und Gewissensfrage

In der Kirche gibt es dazu komplett verschiedene Meinungen. Das sei die notwendige Vielstimmigkeit, die sich in einer solch grundlegenden Glaubens- und Gewissensfrage ergäbe, fasst die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Annette Kurschus, die Lage zusammen.

Im Laufe der Jahrhunderte hat die Kirche die Frage nach der Gewalt sehr unterschiedlich beantwortet. Vom „Heiligen Krieg“ bis zum radikalen Pazifismus, der jede Ausübung von kriegerischer Gewalt ablehnt, ist alles dabei. Zwei Weltkriege führten dazu, dass 150 Kirchen bei einer weltweiten Versammlung 1948 in Amsterdam dann kategorisch beschlossen: Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.

Auch die Evangelische Kirche in Deutschland folgt bislang dieser Linie. In Denkschriften (2007 und 2019) formuliert sie die Vorstellung vom „gerechten Frieden“: Wer Frieden will, dürfe nicht den Krieg unterstützen. Krieg sei nur der allerletzte Ausweg, die ultima ratio, wenn nichts anderes mehr funktioniere. Und immer das Eingeständnis von Versagen und Schuld.

Krieg als Eingeständnis von Versagen und Schuld?

Der Ukrainekrieg hat Zweifel daran aufkommen lassen. Wenn der Krieg an die eigene Tür klopft, sehen die Dinge plötzlich ganz anders aus. Reichen der Verzicht aufs Schwert und der Hinweis auf das Hinhalten der anderen Wange aus, um der ukrainischen Bevölkerung beizustehen?

Noch einen Schritt weiter gehen sieben Theologen und Theologinnen. In einem Beitrag auf der Internetseite des EKD-Militärbischofs Bernhard Felmberg fordern sie: Die Kirche müsse aufhören, sich aus jeder Form von Gewalt heraushalten zu wollen. Schuldig werde nicht, wer den Angegriffenen beistehe, sondern wer die Unterstützung der Verteidiger unterlasse. Krieg sei in diesem Fall keine Schuld, sondern ein notwendiges Übel.

Man sollte aufpassen. Dann ist es nur noch ein kleiner Schritt zur Vorstellung vom gerechten Krieg. Ob man Waffen liefert oder nicht: Am Ende darf nicht die Rückkehr des „Heiligen Krieges“ stehen.