Religionstreffen von Sant’Egidio im Schatten des Ukrainekrieges

Vertreter aus Religionen und Politik sprachen drei Tag über Wege aus Kriegen und Krisen – und über das Dilemma von Friedensappellen angesichts russischer Aggression. Realpolitische Analysen neben prophetischen Appellen.

Der symbolische Gang erinnerte an den Fall der Berliner Mauer. Religionsvertreter aus aller Welt schritten am Dienstagabend in Berlin durch das Brandenburger Tor, um den Friedensgruß auszutauschen. Gleichsam ein utopischer Gegenentwurf zu einer Welt, die aus den Fugen zu geraten droht. Beim 37. Internationalen Friedenstreffen der christlichen Gemeinschaft Sant’Egidio unter dem Motto „Frieden wagen“ rangen in Berlin Repräsentanten aus Religion, Politik und Gesellschaft drei Tage in 20 Foren um Lösungen zu aktuellen Fragen von Abrüstung, Klimawandel und Migration. Hauptthema war aber der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, der wie ein Schatten über den Begegnungen in der spätsommerlich warmen Hauptstadt lag.

Der Impuls für das regelmäßige Treffen der Gemeinschaft geht auf das Weltfriedensgebet zurück, zu dem Papst Johannes Paul II. 1986 erstmals Religionsführer aus aller Welt nach Assisi eingeladen hatte. Wie damals versammelten sich nun auch in Berlin die Vertreter der Religionen an verschiedenen Orten, um gemäß ihren Traditionen für den Frieden zu beten; die Juden trafen sich etwa am nahe gelegenen Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Dann tauschten sie auf dem Pariser Platz den Friedensgruß aus. So ergab sich ein buntes Bild des friedlichen Miteinanders von Würdenträgern in unterschiedlichen Gewändern, Roben und Talaren.

An der Begegnung nahmen Menschen aller Altersgruppen aus aller Welt teil, darunter auch viele Schüler von Berliner Gymnasien. Auf einer Großleinwand wurden Bilder vom Holocaust, dem Mauerbau, dem Ukrainekrieg, von Flüchtlingen, von Opfern von Hunger und Klimawandel eingespielt. Anschließend erhoben sich alle zu einer Schweigeminute für die Opfer von Terror und Gewalt. Dann wurde ein Berliner Friedensappell vorgetragen, den Religionsvertreter unterzeichneten. Für die katholische Kirche unterzeichnet Kardinal Walter Kasper, für die evangelische Kirche Bischof Heinrich Bedford-Strohm. Symbolisch wurden Kerzen entzündet und Plakate mit der Aufschrift „Frieden“ in die Luft gehalten.

Die von Rom ausgehende Bewegung mit weltweit 60.000 Mitgliedern hat Jahrzehnte Erfahrung mit diplomatischen Bemühungen um Friedensschlüsse. Dank ihrer Vermittlung fand auch der Bürgerkrieg in Mosambik ein Ende. Diese Bemühungen würdigte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zum Auftakt am Sonntag. „Oft haben sie dort vermittelt, wo die Politik gescheitert ist oder nicht vorankam“, lobte das Staatsoberhaupt die „international respektierte Instanz“.

Gleichzeitig sprach er vom „tiefen Dilemma“ nicht nur für Christen: „Wie ist es mit dem Glauben vereinbar, Waffen in ein Kriegsgebiet zu liefern, wie passt das zum Friedensgebot?“, fragte der Bundespräsident mit Blick auf die Ukraine. Aber fordere nicht zugleich „die Menschlichkeit, den Angegriffenen beizustehen?“, brachte er die zentrale Herausforderung des Friedenstreffens auf den Punkt.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nutze am Dienstagmorgen die Gelegenheit, um vor internationalem Publikum die Haltung der Bundesregierung zu erläutern: Die Hilfe für die Ukraine sei politisch erforderlich und friedensethisch geboten. Dabei dämpfte er Erwartungen auf einen raschen Frieden und warnte vor „Scheinlösungen“: „Frieden ohne Freiheit heißt Unterdrückung. Frieden ohne Gerechtigkeit nennt man Diktat“. Gewaltsame Grenzverschiebungen dürfe es nie mehr geben und auch ein Waffenstillstand, dürfe keine Raubzüge legitimieren. Der Applaus auf die nüchternen Worte blieb verhalten.

Demgegenüber erschien die Papstbotschaft, die vor dem Brandenburger Tor vorgetragen wurde, eher prophetisch. Franziskus rief zu kühnen Schritten zum Frieden auf. „Der Realismus genügt nicht, die politischen Abwägungen genügen nicht, die bisherigen strategischen Aspekte genügen nicht, wir brauchen mehr, denn der Krieg dauert an. Wir brauchen die Kühnheit des Friedens!“

Die Gläubigen seien aufgefordert, „die Mauer des Unmöglichen zu überschreiten, die aus scheinbar unwiderlegbaren Argumenten und aus der Erinnerung an so viele Schmerzen und so große erlittene Verletzungen errichtet wurde. Es ist schwer, aber es ist nicht unmöglich“, so der Papst.

Und er wandte sich ausdrücklich auch an die Politiker und Diplomaten. „Bitten wir darum, dass sich Wege des Friedens öffnen, vor allem für die geliebte, gequälte Ukraine!“, so der Papst. Ebenso eindringlich betonte er die Friedensbotschaft: „Kein Krieg ist ewig!“. „Frieden bedeutet nicht, sich mit der Ungerechtigkeit abzufinden“, sondern, „den Teufelskreis des Konflikts zu durchbrechen, der sich endlos zu wiederholen droht und den niemand mehr zu beherrschen scheint“.