Reise nach Palästina als Vorbereitung auf den Weltgebetstag

Elf Frauen bereiten sich auf den Weltgebetstag im kommenden Jahr vor, dessen Liturgie von Christinnen aus Palästina stammt. Sie besuchen die Palästinenserinnen in ihrem Land. Ein Reisebericht.

Gottesdienst am Himmelfahrtstag mit Professorin Johanna Haberer auf dem Ölberg
Gottesdienst am Himmelfahrtstag mit Professorin Johanna Haberer auf dem ÖlbergSonja Schmidt

Faten Mukarker führt uns durch die Geburtskirche und Bethlehem. Sie wurde 1956 in der Stadt geboren, verlebte ­ihre Kindheit in Deutschland. Ihr Großvater habe für sie den ­Mythos deutscher Krippenspiele entlarvt. „Er hat gesagt: Niemals ­wären in Paläs­tina Reisende, die eine Unterkunft ­benötigten, weggeschickt worden“, erzählt sie. „Vermutlich hat Maria sich zu den Tieren zurückgezogen, weil sie da Ruhe hatte und nach der Geburt als ,unrein‘ galt.“

Wir sind eine Gruppe von elf Frauen, unter Leitung von Meike Waechter, Referentin im Gemeindedienst, und ­Nahostreferent Simon Kuntze, beide vom Berliner Missionswerk. Wir bereiten uns mit dieser Reise auf den Weltgebetstag im kommenden Jahr vor, dessen Liturgie Christinnen aus Palästina geschrieben haben. Uns interessiert das Leben der Frauen in Palästina.

Patriarchale Strukturen

Wenn Faten aus ihrem Leben erzählt, staunen wir, dass patriarchale Strukturen unter Christ*innen im Heiligen Land genauso verbreitet sind wie im Islam. Sie haben ihren Ursprung mehr in der arabischen Kultur als in der muslimischen Religion. Frauen erben nur ein Drittel im Gegensatz zu ihren Brüdern. Wenn sie heiraten, gehören sie zur Familie ihres Mannes. Kommt es zu einer Scheidung oder zum Tod des Ehemanns, bleiben die Kinder in seiner Familie.

Manche Frauen ertragen in ihrer Ehe viel, aus Angst, ihre Kinder zu verlieren. Das erzählt Scarlet Bishara, erste weibliche Richterin an einem Kirchengericht in Palästina. Personenstandsfragen wie Eheschlie­ßung, Scheidung, Vormundschaft fallen in Israel und ­Palästina in die Zuständigkeit der Religionsgemeinschaften: Rabbinatsgerichte, Scharia-Gerichte, die religiösen Gerichte der Drusen, der Bahai und der Kirchen. Oft sind die Gesetze noch aus der jordanischen oder der osmanischen Zeit.

Richterin Bishara arbeitet beim Kirchengericht

Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Jordanien und dem Heiligen Land (ELCJHL), Partnerkirche der Evangelischen Kirche Berlin-­Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO), hat daher 2015 ein neues Familiengesetz verabschiedet und ihr eigenes, neues Gericht mit einer Richterin, Scarlet Bishara, besetzt. Das macht es für viele Frauen leicht, vor Gericht zu gehen, berichtet diese. Bishara arbeitet hauptberuflich in Bethlehem bei der Kommune. Dort setzt sie sich für Frauen ein, die Gewalt erfahren. Andere Kirchen schauen interessiert auf das neue Familiengesetz. Auch mit einer muslimischen Richterin und mit der palästinensischen Frauenbeauftragten ist Bishara im regen Austausch.

Wichtig für diesen Prozess ist die Abteilung Geschlechtergerechtigkeit in der ELCJHL. Tamar Haddad berichtet uns über Workshops zum Thema „Frauen in Führungspositionen“ und Einheiten zu Geschlechterrollen und Sexualpädagogik mit Jugendlichen. Sogar Paarberatung bieten sie an. „Wir müssten mehr Männer einbeziehen, um das Männlichkeitsbild zu verändern“, sagt sie. Besonders wichtig sei innerkirchlich und darüber hinaus die politische Lobbyarbeit und patriarchale, diskriminierende Strukturen bewusst zu machen. Tamar Haddad ist in Palästina aufgewachsen, hat lange im Ausland studiert und gelebt. „Wenn wir zurückkommen, sind wir Weltbürger*innen“, sagt sie. „Das ist nicht einfach.“

Ein-Personen-Haushalte gibt es hier nicht

Die junge Pfarrerin Sally Azar ist – nach Studium und Vikariat in Deutschland – zurückgekommen. Sie wohnt allein in Ost­jerusalem, was ungewöhnlich ist. Den Begriff „Ein-Personen-Haushalt“ gebe es hier nicht, erzählt sie. Das Leben spiele sich immer in der Großfamilie ab.

Sally Azar ist die erste ordinierte Pfarrerin der ELCJHL. Was hatte sich verändert, als sie nach acht Jahren zurückkam? „Die politische Situation ist noch angespannter als vorher. Es wird zum Beispiel immer schwieriger, gemeinsame Gottesdienste oder Feste in Jerusalem zu feiern, da alle unter 66-Jährigen im West­jor­dan­land für jeden Besuch in Jerusalem einen permit, eine Einreisegenehmigung benötigen“, berichtet sie. „Manchmal bekommen die Menschen diese einfach nicht.“ Manche hätten keine Lust auf den Stress an den Checkpoints und stellten keinen Antrag. „Die Menschen gewöhnen sich an die Einschränkungen.“

Sally Azar: Viele sind traumatisiert

Nun muss ich eine Frage loswerden, die mich seit ein paar Tagen beschäftigt: „Ist die Gewöhnung nicht auch etwas Positives, einfach Alltag zu ­leben, statt immer in der Ausnahmesituation zu sein?“ – „Nein.“ Sally Azars Antwort ist eindeutig. „Viele Menschen sind depressiv oder traumatisiert und ziehen sich zurück. Das ist nicht gut.“

Das Thema permit begegnet uns immer wieder. Auch beim Gespräch mit Sieglinde Weinbrenner im Krankenhaus auf dem Ölberg in Jerusalem. Sie hat von 2012 bis 2019 bei Brot für die Welt als Nahostreferentin gearbeitet und ist jetzt im Krankenhaus als Vertreterin des Trägers, dem World Service des Lutherischen Weltbundes, für Finanzen und vor allem für die politische Außenvertretung zuständig. Das Krankenhaus hat sich seit 20 Jahren zum einzigen Krebszentrum für Menschen aus der Westbank entwickelt. Für Frauen gibt es ein hohes Risiko bei Brustkrebs, weil das Thema noch sehr tabuisiert und die Krankheit oft zu spät erkannt wird. Das Krankenhaus hat inzwischen eine mobile Mammografiestation. Sie ist unterwegs in der Westbank und im Gaza. Aber zur Behandlung müssen alle Patient*innen ins Krankenhaus kommen. Auch hier gilt: Manchmal bekommen sie ihre Einreisegenehmigung sofort, manchmal gar nicht. Ein System ist nicht zu erkennen.

Der Olivenbaum

„Sie fühlen sich seit Jahren nicht gesehen“, sagt Sally Azar über die Menschen in Palästina. Hier merken wir, was der Weltgebetstag leisten kann: die Frauen in Palästina sehen, ihren Geschichten zuhören und mit ihnen beten. Sally Azar hat an der Liturgie mitgeschrieben, zusammen mit 16 anderen Frauen aus etwa 10 verschiedenen Konfessionen. Das Leitmotiv der Liturgie ist der Olivenbaum. Er ist ein Symbol für die leidvolle Geschichte der Region, zu der die Abholzung vieler alter ­Olivenbäume gehört. Aber auch ein Symbol für die Frauen dort: ihre Wurzeln und ihre Stärke, mit der sie die Resilienz ­einer Gesellschaft aufrechterhalten, die unter Besatzung lebt.

Segen in drei Sprachen

Nach so vielen Gesprächen und Informationen müssen wir auch mal auftanken. Zum Beispiel beim Gottesdienst zu Himmelfahrt in der Himmelfahrtskirche. Er findet auf Arabisch, Deutsch und Englisch statt und endet im Freien, wo wir mit Blick auf Ostjerusalem in allen drei Sprachen den Segen empfangen. Es ist ein Bild, das sich mir einprägt.

Auch die Begegnungen in der Schule Talitha Kumi, in deren Gäste­haus wir wohnen, stimmen hoffnungsvoll. Da ist das Community College mit 120 Auszubildenden im Bereich Tourismus und Hotelfach. Mehr als 90 Prozent der Abgänger*innen in diesem Jahr haben schon eine Arbeitsstelle gefunden.

Gruppenbild mit drei Abiturient*innen von der Schule Talitha Kumi
Gruppenbild mit drei Abiturient*innen von der Schule Talitha KumiSonja Schmidt

Die drei Abiturient*innen, mit denen wir sprechen, sind stolz auf ihr Abi und auf ihre Schule. Sie strahlen das Gefühl aus, dass ihnen die Welt offensteht. Sie wollen in Deutschland studieren und wahrscheinlich nach dem Studium zurückzukommen, denn Palästina ist ihre Heimat. Aber festlegen möchten sie sich nicht.

Die Frauen verbindet die Sorge um die Kinder

Unser letztes Gespräch haben wir mit Peta und Regula von der jüdischen Frauen-­Friedensbewegung Women Wage Peace, die es seit fast zehn Jahren gibt und die 54000 Mitglieder hat. Und mit Reem und Samar von ­Women of the Sun, einer Frauen­bewegung, die sich 2020 in der Westbank gründete und zu deren Gruppen rund 2500 palästinensische Frauen gehören. Gemeinsam haben sie die Kampagne „Mother’s Call“ gegründet, die zu einer Zukunft aufruft, in der alle in Frieden, mit Würde und ohne Angst leben können.

Was diese Frauen verbindet, ist die Angst um ihre Kinder. Sie bieten keine politischen Lösungen an, ­sondern wollen zeigen, dass miteinander reden möglich ist. Vor allem unter Palästinensern stößt dieses ­Engagement auf Anfeindungen.

„Wir müssen mutig sein“, sagt Reem. „Ohne Mut gibt es keinen Frieden. Und den Frieden brauchen wir so dringend.“
Dann appelliert Peta noch an unsere Gruppe, mit dem Weltgebetstag nicht Israel zu brüskieren. Niemand von uns möchte das. Wir sehen und hören auf die Frauen in Palästina und beten mit ihnen. Nicht mehr und nicht weniger!