Die Bundesregierung macht sich strafbar, wenn sie gefährdete Afghanen im Stich lässt, die in Pakistan auf ihre Ausreise warten. Das ist das Ergebnis eines für den Außenminister und den Innenminister brisanten Gutachtens.
Die Bundesregierung ist einem neuen Rechtsgutachten zufolge an Aufnahmezusagen für besonders gefährdete Afghanen gebunden. Regierungsmitglieder machten sich strafbar, wenn Afghanen, die eine Zusage erhalten haben, deshalb nach Pakistan geflohen sind und auf die Ausreise nach Deutschland warten, durch pakistanische Behörden nach Afghanistan abgeschoben würden, heißt es in dem am Dienstag veröffentlichten Gutachten des Strafverteidigers Robert Brockhaus.
Eine mögliche Strafanzeige könne sich gegen Außenminister Johann Wadephul (CDU), Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) sowie darüber hinaus gegen Beamte der Bundesregierung richten, die mit den Aufnahmezusagen befasst seien, sagte Brockhaus vor Journalisten in Frankfurt. “Vorzuwerfen wäre Regierungsmitgliedern, dass sie die Abschiebungen, durch die die Menschen voraussichtlich in die Gefahr des Todes oder schwerer Gesundheitsschädigungen geraten, nicht verhindert haben, obwohl ihnen das möglich war”, so der Jurist.
Besonders gefährdeten Afghanen drohten in Afghanistan unter den Taliban “schwerste Menschenrechtsverletzungen – von Folter und Misshandlungen bis zu sexualisierter Gewalt und Tötungen”. Laut der Menschenrechtsorganisationen Pro Asyl geht es “um 2.351 Betroffene – Frauen, Männer und Kinder, die aktuell in Pakistan festsitzen”.
Zu ihnen zählten ehemalige Ortskräfte der deutschen Ministerien, Menschenrechtsaktivisten, Journalisten, die sich in Afghanistan für Demokratie und Frauenrechte eingesetzt haben, sowie Angehörige vulnerabler Gruppen wie LGBTIQ. Die englische Abkürzung LGBTQ steht vor allem für nicht-heterosexuelle Menschen, die sich etwa als lesbisch, schwul oder queer identifizieren.
Brockhaus sagte, die Bundesregierung sei rechtlich “aufgrund ihrer Garantenstellung verpflichtet, Schaden von diesen Menschen abzuwenden”.
Pro Asyl kritisierte, dass die neue Bundesregierung im Koalitionsvertrag angekündigt habe, die Aufnahmeprogramme “soweit wie möglich zu beenden”. Seitdem befinde sich die Bundesregierung “in einer fortgesetzten Prüfung” und habe alle Einreisen von Personen mit Aufnahmezusage ausgesetzt.
“Fast vier Jahre nach der Machtübernahme der Taliban ist die aktuelle Bundesregierung kurz davor, Afghaninnen und Afghanen mit bereits erfolgter Aufnahmezusage im Stich zu lassen, obwohl ihnen in Pakistan akut die Abschiebung nach Afghanistan und dort Folter, Misshandlung oder der Tod drohen”, kritisierte Pro Asyl.
Das von Pro Asyl und dem Patenschaftsnetzwerk Ortskräfte in Auftrag gegebene Gutachten zeige, dass dies strafbar sei. Lena Reiner vom Netzwerk Ortskräfte sagte: “Was wir in den letzten Wochen aus Pakistan hören, ist die pure Verzweiflung.” Sie fügte hinzu: “Alle, mit denen wir in Kontakt sind, fürchten um ihr Leben.”