Rebellion gegen das Aussterben

Mit zahlreichen Aktionen wollen die Initiatoren deutlich machen, wie dramatisch die Lage ist. In der Fußgängerzone sterben symbolisch Menschen, selbst die Kirchturmuhr hört auf zu ticken.

Noch sind es keine echten Toten in der Einkaufsmeile Greifswalds. Aber mit der Aktion „Leichenhalle“ soll aufgerüttelt werden
Noch sind es keine echten Toten in der Einkaufsmeile Greifswalds. Aber mit der Aktion „Leichenhalle“ soll aufgerüttelt werdenUrte Enders

Greifswald. Hier läuft „nur“ eine Performance – ein Straßentheater ohne Ankündigung. Aber eines mit sehr ernstem Hintergrund. „Die Klimakrise tötet“ schallt der Ruf durch die sommerlich belebte Fußgängerzone Greifswalds. 15 Personen lassen sich daraufhin auf das Pflaster fallen, werden von anderen mit Laken bedeckt und mit einem Zettel am Zeh versehen. Die irritierten Passanten können nun lesen, woran diese Menschen symbolisch verstarben. „Verhungert während der Dürre“, „Ertrunken auf der Flucht“.

Der Sprecher erklärt unterdessen, was die Gruppe hier greifbar machen will: die extremen Folgen der Klimakrise für viele Menschen auf anderen Teilen der Welt. Nach dem Ruf „Aufstehen für das Klima“ erheben sich alle, und es ist wieder ein ganz normaler Sommertag. Oder doch nicht? Betroffenheit liegt in der Luft. Zwischen Zustimmung und Verärgerung suchen manche der Stehengebliebenen das Gespräch mit den Akteuren. Andere gehen schnell davon.

Nicht nur Protest, auch Aufklärung

Dies ist eine der Aktionen, die der Greifswalder Unterstützerkreis der weltumspannenden Bewegung „Extinction­ Rebellion“ (XR) hier veranstaltete. XR – „Aufstand gegen das Aussterben“, so die Übersetzung.

Klara Isbarn war dabei. Sie ist 23 Jahre alt und macht eine Lehre als traditionelle Holzbootsbauerin in Freest. Auch Jola Herklotz, 17, von der Martinschule protestiert. Beide wollen die reale Lage gegenwärtig machen. „Vielen erscheinen all die Katastrophenberichte wie ein apokalyptischer Film, den man ausschalten und dann gemütlich ins Bett gehen kann.“ Aber es gäbe kein Vorbeikommen mehr. Die jungen Frauen überlegten sich, einen Zeitraum als Bühne festzulegen, und Veranstaltungen rund ums Thema Klima quasi draufzustellen. „Wir haben dazu alle möglichen Akteure mit ins Boot geholt“, sagt Clara Isbarn­. Denn nicht nur Protest, auch Aufklärung sei wichtig, und die Freude am Gegenentwurf. Viele Perspektiven sollten einfließen. „Damit das Ganze richtig Kraft bekommt.“

Auch Domgemeinde dabei

Auch andere Begeisterte stiegen in die Planung ein, so die BUND-Jugend und Mitstreitende aus der kirchlichen Jugendarbeit, die sich teils auch bei „Fridays for Future“ engagieren. „Da gibt es bei uns viele Überschneidungen“, berichtet Clara Bräunlich von JUST gut gelaunt – dem „Jugend.Stadt.Turm“, also der offenen Jugendarbeit der Altstadtgemeinden. „Unsere Jugendlichen sind wirklich total engagiert und arbeiten projektübergreifend miteinander.“

In nur wenigen Wochen überzeugten sie gemeinsam eine Liste von etwa 15 Akteuren, die nun in der Woche vom 5. bis 12. September überall Veranstaltungen anbieten. Auch die Domgemeinde: „Wir läuten um 5 nach 12 und lassen die Turmuhren auch so anhalten“, sagt Pastor Tilman Beyrich. „5 vor 12 hieße ja: Wir haben noch eine kurze Zeit, aber davon kann keine Rede mehr sein.“ Auch die Mittagsandachten drehen sich ums Klima. Die am 8. September gestaltet „JUST“. „Außerdem laden wir am 12. September um 11 Uhr am Dom zum ‚DemokraTisch‘ ein und diskutieren Zukunftsvisionen“, sagt Bräunlich. Neben Demo und Klimacamp gibt es Klimaspaziergänge und –exkursionen, Perfomences, Vorträge, Workshops, die Pflanzenverschenk­aktion und mehr.

Netzwerke schaffen

„Wir unterstützen die Aktionen, weil wir die Sorgen der Klimaaktivisten teilen, dass es jetzt wohl die letzte Chance ist zum grundsätzlichen Umdenken in der internationalen Politik und in unserem eigenen Lebensstil“, sagt Tilman Beyrich. „Wir müssen im Kleinen und im Großen Netzwerke schaffen, die dazu motivieren und einladen. Die Kirche ist dabei eine ganz wichtige Akteurin.“