Raus aus der Bubble

Die Evangelische Kirche in Deutschland hat Anna-Nicole Heinrich zur Synodenpräses gewählt. Die 25-Jährige aus Regensburg soll in einer Zeit des Mitgliederschwunds die Zukunft der Kirche maßgeblich mitgestalten.

Von Corinna Buschow, Gabriele Ingenthron und Brigitte Bitto (epd)

„Mein Handy explodiert gleich.“ Mit diesen Worten bedankte sich Anna-Nicole Heinrich via Twitter für die Gratulationen zu ihrer Wahl zur ­Synodenpräses der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Überraschend wählte das Kirchen­parlament die 25-jährige Studentin Heinrich an die Spitze. Sie ist die jüngste Präses in der Geschichte und hat damit einen festen Platz im Rat der EKD. Wie ihre prominenten Vorgängerinnen Katrin Göring-Eckardt und Irmgard Schwaetzer sitzt sie damit auf Augenhöhe mit dem Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm und weiteren Geistlichen und Laien in dem Leitungsgremium der Evangelischen Kirche.

Schon lange dabei, Kirche zukunftsfähig zu machen

Heinrich studiert im Master ­Philosophie und verdient ihren Lebensunterhalt nach eigenen Worten mit einer Stelle bei der stellvertretenden Frauenbeauftragten der Universität Regensburg. Zum Glauben kam sie „eher durch Zufall als durch Verstand und Sozialisation“, wie sie sagt. Ihre Eltern gehörten keiner Kirche an. Über den Religionsunterricht kam sie in Kontakt zu einer evangelischen Gemeinde. Im Schulalter wurde sie getauft.

Als stellvertretende Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend und als Jugend­delegierte in der vorhergehenden Synode sammelte sie Erfahrung mit evangelischen Gremien. Die charismatische Frau mit Kurzhaarschnitt vertrat selbstbewusst die Anliegen der Jüngeren, forderte Offenheit für neue Formen von Gottesdienst – auch digital. Sie war Mitglied im ­Zukunftsteam der Synode, das unter anderem die Leitsätze für die ­Zukunft der Kirche formuliert hat. 

Die redegewandte Studentin nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es darum geht, mit Gewohnheiten zu brechen. Warum, fragte sie einmal während eines heißen Sommers, werden die kühlen Kirchen nicht für alle geöffnet? Am besten inklusive Gratis-WLAN. Denn Kirche als Ort könne „mehr als nur Gottesdienst am Sonntag um zehn“. Sie könne vielfältig genutzt werden „zum Spaß haben, zum Treffen mit anderen Leuten, zum thematischen Auseinandersetzen oder einfach mal um Ruhe zu suchen“. Heinrich ist keine junge Wilde; aber wenn es um unhinterfragte Konventionen der Boomer-Generation geht, findet sie klare Worte.

Rückenwind für Jüngere

Nach dem Kirchentag in Dortmund 2019 legte Heinrich ein klares Bekenntnis für die Seenotrettung ab. Schon damals war sie sich der politischen Tragweite ihrer Äußerung ­bewusst: „Die Kirche ist eine der größten zivilgesellschaftlichen Organisationen in Deutschland. Da sollten wir die nötige Reichweite haben, um auf die Brisanz des Themas ­aufmerksam zu machen.“

Die Corona-Pandemie, die selbst Skeptische zu digitalen Formen der Glaubensausübung zwang, gab den Jüngeren Rückenwind. Bei der ­ersten digitalen Synodentagung im ­November gehörte Heinrich zu den Organisatoren und gab technische Hilfe, koordinierte Break-Out-­Sessions.

Heinrichs Vorgängerin im Amt der Präses, die inzwischen 79-jährige Irmgard Schwaetzer, und auch Bedford-Strohm hatten sich stets für eine stärkere Beteiligung Jüngerer ausgesprochen. Dass es eine Vertreterin nun gleich an die Spitze schafft, ist eine kleine Sensation. „Historisch“, nannte der EKD-Ratsvorsitzende die Entscheidung. Sie sei ein „ganz starkes Zeichen“ für die Zukunft: Junge Menschen gestalten Kirche aktiv.

Dass das Amt der Synodenpräses nun von einer „ganz starken 79-Jährigen“ auf eine „ganz starke 25-Jährige Frau“ übergeht, sei wahrscheinlich einmalig in der Geschichte der Institutionen in Deutschland. Er kenne Heinrich seit Jahren als ­„zupackende, engagierte und pragmatische junge Frau“ und freue sich auf „sechs Monate Heinrich und Heinrich“, scherzte Heinrich Bedford-Strohm, der im November als Ratsvorsitzender ausscheiden wird.

Glückwünsche überbrachte auch ­Bischof Christian Stäblein. „Eine ­historische Wahl, voller Mut und ­Zuversicht, wegweisend für die ­Zukunft der Kirche“, so Stäblein. Anna-Nicole Heinrich werde dem Amt Schwung verleihen, „davon bin ich überzeugt“. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, sagte: „Das wird vielen jungen Menschen ­Ansporn sein, sich in der Kirche zu engagieren“. 

Ein Zeichen, dass Synodale bereit sind für neue Wege

Anna-Nicole Heinrich rief in ihrer Vorstellungsrede die Synodalen auf, sich „raus aus der Bubble“ zu bewegen – eine Anspielung auf das in der Kirche oft beklagte Schwimmen im eigenen Saft. In denen im November verabschiedeten Leitsätzen spricht sich die evangelische Kirche dafür aus, sich mehr zu öffnen in die Gesellschaft mit Formaten, die auch kirchlich nicht gebundene Menschen ansprechen, und für Allianzen mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen. Heinrichs Wahl ist ein Zeichen für den Willen der Kirchenparlamentarier zum Aufbruch.

Heinrich wirbt für eine „optimistische Perspektive hinaus in die Weite“, wenngleich sie begleitet sein werde „von Sparmaßnahmen, ­Rückbau und Umbau“. „Als Präses möchte ich für eine hoffnungsvolle, integrierende und pragmatische ­Kirche stehen“, sagte sie.