Bei einer weiteren Aussetzung der Aufnahme von gefährdeten Afghaninnen und Afghanen mit Aufnahmezusage macht sich die Bundesregierung nach einem Rechtsgutachten strafbar. Die Vereine Pro Asyl und Patenschaftsnetzwerk Ortskräfte haben am Dienstag ein entsprechendes Gutachten vorgestellt. Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) und Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) sowie die verantwortlichen Personen beteiligter Behörden könnten angeklagt werden, sagte der Berliner Rechtsanwalt Robert Brockhaus.
Zum Vorwurf könnten die Straftatbestände der Aussetzung eines Menschen in hilfloser Lage (Strafgesetzbuch Paragraph 221), der versuchten schweren Aussetzung oder der unterlassenen Hilfeleistung (Paragraph 323c) gemacht werden, erklärte Brockhaus. Das Strafmaß bei Aussetzung liege bei einer Freiheitsstrafe zwischen drei Monaten und fünf Jahren. Sollte die Staatsanwaltschaft eine Anklage wagen, sei möglicherweise eine Freiheitsstrafe zu erwarten, die zur Bewährung ausgesetzt werde.
Deutschland habe gegenüber den afghanischen Ortskräften deutscher Behörden und Organisationen sowie gegenüber besonders gefährdeten Afghaninnen und Afghanen eine Garantenpflicht übernommen, begründete Brockhaus. Diese ergebe sich aus den Aufnahmezusagen der vorherigen Bundesregierungen und den tatsächlichen Aufnahmen. Die jeweilige Bundesregierung habe dadurch zum Ausdruck gebracht, dass sie sich verantwortlich fühle. Eine Garantenpflicht sei rechtlich bindend.
Ende Juni warteten nach Angaben des Bundesinnenministeriums 2.351 Männer, Frauen und Kinder mit einer Aufnahmezusage Deutschlands in Pakistan auf ihre Ausreise, erläuterte die rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl, Wiebke Judith. Zu ihnen gehörten ehemalige Ortskräfte, Menschenrechtsaktivisten, Kulturschaffende und Journalistinnen, die von den Taliban bedroht wurden, sowie Angehörige verletzlicher Gruppen, wie alleinstehende Frauen oder Homosexuelle. Die Aufkündigung der Aufnahmezusagen hätte Gefahren für deren Leib und Leben zur Folge. Sollte die Bundesregierung die Aufnahmen nicht wieder aufnehmen, werde Pro Asyl Strafanzeige gegen die politisch Verantwortlichen stellen, kündigte Judith an.
Die Lage der betroffenen Afghaninnen und Afghanen in Pakistan sei dramatisch, berichtete die Mitarbeiterin der Organisation Kabul Luftbrücke, Eleha Hakim, derzeit in Islamabad. Seit Ende Juni habe sie 50 Personen von der Aufnahmeliste streichen müssen. „Wir verlieren Menschen, denen Deutschland Schutz versprochen hat“, sagte sie. Die Flüchtlinge, die mitunter in Afghanistan den Tod fürchteten, klagten: „Wenn Flüchtlinge in Europa Fehler begehen, darf das nicht uns angelastet werden!“ Die mit deutscher Aufnahmezusage in Pakistan feststeckenden Flüchtlinge fürchteten, ihre Unterkünfte zu verlassen. Die Polizei bringe manche nachts in Abschiebehaft, von wo sie nach Afghanistan abgeschoben würden.