Politologin: Verhärtete Haltungen in Debatte um Waffenlieferungen

In der Debatte um Waffenlieferungen an die Ukraine sieht die Frankfurter Konfliktforscherin Nicole Deitelhoff zwei grundsätzliche Haltungen, die sich nicht aufeinander zubewegen. „Die einen glauben, dass man durch Waffenlieferungen gegen eine nuklear bewaffnete Macht ein Risiko eingeht, und dass man das vorher dementsprechend sehr bedenken sollte“, sagte die Leiterin des Peace Research Institute Frankfurt – Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Die andere Seite hält dagegen, wenn man Russland nicht Einhalt gebiete, sei nicht nur die Ukraine als Staat gefährdet, sondern auch die europäische Sicherheit insgesamt.“

Der Grund für die Starre in der Debatte sei, dass beide Seiten einen Punkt hätten, sagte Deitelhoff: „Letzten Endes geht es darum, wie wir unser Nichtwissen einschätzen, das wir alle haben.“ Sie selbst halte das Risiko einer nuklearen Eskalation für nicht besonders hoch, doch wolle sie andererseits nicht jene verdammen, die auf dieses Risiko hinwiesen.

Deitelhoff wies darauf hin, dass es einen Preis dafür gebe, dass man sich Waffenlieferungen vorher gut überlege. Diesen Preis zahle vor allem die Ukraine. Verzögerungen trügen dazu bei, dass dieser Krieg länger dauere und mehr Menschenleben fordere. Aber es verschaffe eben Zeit, Konsequenzen zu bedenken, zumal eine Fehleinschätzung dieser Konsequenzen eine nukleare Eskalation zur Folge haben könne. „Danach können wir ja nicht einfach sagen: ‚Okay, verschätzt, Pech gehabt’“, sagte die Politologin.

Die Debatten um Waffenlieferungen und Friedensethik in den Kirchen nehme sie als wohltuend wahr, sagte Deitelhoff. Dies sei ein großer Unterschied zu der Respektlosigkeit und mangelnden Anerkennung von Positionen, die man in den öffentlichen Diskussionen teilweise beobachten könne. Die Kirchen hätten in diesem Krieg auch eine seelsorgerische Funktion und sollten den Kontakt zur Russisch-orthodoxen Kirche nicht abreißen lassen.

Auch die Politik solle die Hand in Richtung Russland ausgestreckt lassen, „und nicht nur mit einer Pistole darin“, forderte Deitelhoff. „Die Botschaft an Putin sollte sein: Wenn du dich umentscheidest, wird das zu deinen Gunsten sein“, sagte sie.

Aktuell sehe sie aber wenig Chancen für eine Verständigung mit Moskau: „So wie dessen Regierung über den Westen spricht, über liberale Demokratien, über alles, was nicht konform mit der russischen Vorstellung ist, ist mit ihr keine friedliche Koexistenz so einfach denkbar, ohne zumindest, dass man robuste Sicherheit schafft.“ Derzeit gehe es wohl darum, die Ukraine so lange militärisch, finanziell und ökonomisch zu unterstützen, um gegen Russland bestehen zu können, bis man eine Lage erreicht habe, in der man einen Abschluss oder eine Pause der militärischen Handlungen erreichen und danach festigen und absichern kann, auch um Russland vor weiteren Abenteuern abzuschrecken.