Politologe: Lübcke-Mord ist Tiefpunkt der Demokratie

Der rechtsextremistische Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke vor fünf Jahren ist aus Sicht des Marburger Politikwissenschaftlers Reiner Becker „ein Tiefpunkt unserer Demokratie“ gewesen. „Danach war das Entsetzen groß“, sagte der Leiter des Demokratiezentrums im Beratungsnetzwerk Hessen in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Eine Patentlösung zur Bekämpfung des Rechtsextremismus habe dann aber auch niemand gefunden. Am 2. Juni jährt sich der Mord an dem früheren Kasseler Regierungspräsidenten zum fünften Mal.

Rechtsextremismus sei „nichts Neues“ in der Gesellschaft, es gebe ihn in unterschiedlichen Organisationsformen seit Bestehen der Bundesrepublik. „Rechtsextremismus wird immer dann markant, wenn wir es mit Krisen zu tun haben“, sagte Becker. In der Phase der Aufnahme der Geflüchteten nach 2015 seien dem Mord zahlreiche Bedrohungen und Anfeindungen vorausgegangen – gegen Lübcke selbst, aber auch gegen etliche andere Mandatsträger. Das Attentat habe sichtbar gemacht: „Es kann in Mord und Totschlag enden, und es gibt Menschen, die nicht gelernt haben, rote Linien nicht zu überschreiten.“

Nach Beckers Ansicht braucht es beim Vorgehen gegen rechtsextremistische Strukturen vor allem ein „Kontinuum“ in der Arbeit: „Das fängt im Bildungsbereich stark an.“ So seien die sozialen Medien zur Haupt-Transportform von Propaganda geworden, aber es gebe an den Schulen kaum regelmäßige medienpädagogische Bildungsangebote. „Die Kinder und Jugendlichen rennen jeden Tag mit ihren Smartphones ins Messer“, sagte er.

Außerdem brauche es eine „Stärkung des kommunalpolitischen Mandats“ – es sei „die DNA unserer Demokratie“. Den Menschen müsse klar werden, dass Demokratie „kein Selbstbedienungsladen“ sei, sondern vom Mitmachen lebt. Eine „Konsummentalität hat sich bis in die kommunalpolitischen Kapillare verbreitet“, sagte Becker. Doch könne nicht alles delegiert werden. Erst wenn sich das ändere, könne man neue Beteiligungsformen ausprobieren. Es existierten bereits viele Ideen, mit „Graswurzelarbeit gegen die laute Empörungsmaschinerie“ vorzugehen.

Das gehe jedoch nur mit professionellen, fest angestellten Mitarbeitern, die zum Beispiel Netzwerke herstellen, sagte Becker. Bewährt habe sich zudem die Beratungsarbeit des Demokratiezentrums, an das sich Schulen, Kommunen, Vereine oder Betroffene bei rechtsextremistischen Vorfällen wenden können. Jetzt aber drohe die Arbeit, die zu zwei Dritteln vom Bund und zu einem Drittel vom Land finanziert wird, den Einsparungen im Bundeshaushalt zum Opfer zu fallen.