Osteuropa-Historiker Aust warnt vor russischer Propaganda

Wie lässt sich der Krieg in der Ukraine beenden – und zu welchen Konditionen? Eine schwierige Frage. Manche Antworten führen nach Ansicht des Bonner Professors Martin Aust in die Irre.

Die Diskussion über den Krieg Russlands gegen die Ukraine stellt auch die deutschen Osteuropa-Historiker vor Herausforderungen. In einer unlängst veröffentlichten Stellungnahme warnen sie vor einer Übernahme von russischer Propaganda. Und bieten ihre Mitwirkungen an Diskussionsveranstaltungen zwischen Flensburg und Passau an. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) blickt der Bonner Professor Martin Aust auf blinde Flecken in der Debatte. Und auf das, was ihn und seine Kolleginnen und Kollegen zuversichtlich stimmt. Aust ist Vorsitzender des Verbandes der Osteuropahistorikerinnen und -historiker VOH.

KNA: Herr Professor Aust, warum hat sich der Verband der Osteuropahistorikerinnen und -historiker mit einer Stellungnahme zu russischer Propaganda an die Öffentlichkeit gewandt?

Aust: Uns haben zwei Dinge zu diesem Schritt bewogen. Erstens eine nach wie vor große Verbreitung von russischen Propaganda-Narrativen. Der zweite Punkt ist, dass wir auf zivilgesellschaftliche Gruppen aufmerksam geworden sind, die an unserer Expertise interessiert sind. Wir gewinnen den Eindruck, dass wir in diesen Gruppen einen neuen Bündnisgenossen in der Auseinandersetzung mit russischer Propaganda haben.

KNA: Dass es russische Propaganda gibt, ist nicht unbedingt neu.

Aust: Seit der Annektierung der Krim 2014 und auch seit dem Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 hat sich daran nichts Wesentliches geändert – aber es diffundiert immer weiter in die Debatten hierzulande. Das beunruhigt uns. Gleichzeitig empfinden wir als positiv, dass dort, wo Prominente wie Gabriele Krone-Schmalz russische Propaganda verbreiten, zivilgesellschaftliche Gruppen Kontakt zur Wissenschaft suchen, um die Debatte zu versachlichen. So ist diese Idee zu der Stellungnahme entstanden, verbunden mit einer Liste von Kolleginnen und Kollegen, die sich bereit erklären, vor Ort für Gespräche zur Verfügung zu stehen.

KNA: Wie sehen sie denn überhaupt aus, diese russischen Propaganda-Narrative?

Aust: Zentral daran ist, die Schuld am Krieg nicht allein bei Russland zu sehen, sondern den Westen selbst zu einem Aggressor zu erklären. Auch bei der Suche nach einer Lösung wird das Geschehen auf einen Konflikt zwischen Russland und dem Westen reduziert. Die Ukraine kommt gar nicht vor. Im Gegenteil: Man nimmt bewusst in Kauf, dass ein möglicher Ausgleich zu Lasten der Ukraine geht.

KNA: Irgendwie muss aber doch über Auswege nachgedacht werden.

Aust: Dabei darf man aber die Frage nicht ausblenden: Kann man Vertrauen zu Wladimir Putin haben? Doch genau dieser Frage weichen die Sympathisanten russischer Propaganda-Narrative aus. Das konnte man im Übrigen auch bei dem Fernsehduell zwischen dem AfD-Politiker Björn Höcke und Thüringens CDU-Chef Mario Voigt beobachten.

KNA: Was entgegnen Sie denen, die sagen: „Ah, jetzt kommen Historiker und verbieten uns, darüber nachzudenken, wie man den Krieg beenden könnte.“

Aust: Es geht ja nicht darum, jemandem das Nachdenken zu verbieten. Auch wir Historiker wünschen uns alle, dass der Krieg so rasch wie möglich endet. Nur: Was versteht man unter einem Ende des Krieges? Wenn man darunter einen vermeintlichen Friedensschluss versteht, der ukrainisches Territorium an Russland abgibt; der die Schuld Russlands nicht klar benennt und der Russland nur eine Atempause gibt, um den Krieg zu einem späteren Zeitpunkt fortzuführen – oder der die Ukraine womöglich ganz aufgibt und sich in der Illusion wiegt, dass Russland damit saturiert sei, erweist der Sache des Friedens einen Bärendienst.

KNA: Was ist stattdessen zu tun?

Aust: Wir sind der Auffassung, dass die Suche nach einem Ende des Krieges in einem größeren Rahmen stattfinden muss. Also: Wie ist die Ukraine an diesen Gesprächen beteiligt? Welche Sicherheitsgarantien gibt es anschließend für die Ukraine? Und welche Sicherheitsordnung entsteht dann, die die imperialen Pläne von Putin effizient eindämmt?

KNA: Wenn sich Historiker jetzt für Gespräche vor Ort anbieten, steckt dahinter auch ein Eingeständnis, dass die Wissenschaft in der öffentlichen Debatte vielleicht bisher zu passiv war?

Aust: Wir müssen uns selbst vorwerfen, dass wir nach 2014 nicht in ausreichendem Maße nach draußen gegangen sind. Da hätten wir lauter sein müssen. Was die Zeit seit 2022 anbelangt, kann man das nicht sagen. Aber die Kommunikationslandschaft hat sich geändert, und die Herausforderung lautet: Wie kommt man eigentlich an die Leute heran, die für Russlands Interessen und Propaganda empfänglich sind? Kann man jenseits der etablierten Medien noch andere Kanäle eröffnen, auf denen wir kommunizieren können? Und da sind für uns engagierte Gruppen in der Zivilgesellschaft sehr interessant.

KNA: Wie blickt der Historiker auf die Berichterstattung über den Krieg in den klassischen Medien?

Aust: Vereinzelt gab es – auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk – Formulierungen, an denen wir uns gestoßen haben. Also etwa, wenn in der besetzten Ukraine von russischen Behörden und nicht von der Besatzungsmacht gesprochen wird. Aber im Großen und Ganzen würde ich sagen: Die etablierten Medien berichten sehr viel, sehr differenziert und sehr gut.