Opfer politischer Gewalt berichten Steinmeier aus ihrem Leben
Keinem der Eingeladenen dürfte der Gang leicht gefallen sein: Bundespräsident Steinmeier hatte Betroffene politischer Gewalt in das Schloss Bellevue gebeten. Ihr trauriges Fazit: Der Konsens der Gewaltlosigkeit bröckelt.
Said Etris Hashemi will erreichen, dass die Namen der Opfer nicht vergessen werden. Deshalb startete er nach dem rassistischen Anschlag in Hanau vor gut vier Jahren den Hashtag: “#Saytheirnames” (Sag ihre Namen). Der Täter erschoss damals neun Menschen mit Migrationshintergrund. Darunter den Bruder von Hashemi. Er entschloss sich damals, sich nicht zurückzuziehen. Er gründete ein Solidaritätsnetzwerk mit Betroffenen von rechtsextremer und antisemitischer Gewalt und schrieb ein Buch.
Hashemi war einer der Menschen, die Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in das Schloss Bellevue eingeladen hatte, um über ihren Umgang mit der brutalen Gewalt zu berichten, darüber, wie ihr Leben nach dem Anschlag weiterging, ob und wie Opfern besser geholfen werden könnte.
Zuvor hatte Steinmeier bei der Begegnung dazu aufgerufen, jede Form von politischer Gewalt zu ächten. “Eine Gesellschaft, in der sich politische Gewalt ausbreitet und die dabei schweigend zuschaut, ist bald keine demokratische mehr”, so der Bundespräsident. Politisch motivierte Kriminalität sei 2023 auf ein Rekordniveau gestiegen.
Der SPD-Europapolitiker Matthias Ecke aus Sachsen, der ebenfalls am Runden Tisch saß und der im Mai beim Plakatieren für die Europawahl angegriffen worden war, erklärte, er habe viel Unterstützung erfahren. Er stelle aber fest, dass der Konsens – Gewalt dürfe niemals ein Mittel der Politik sein – bröckele. Dieser Konsens könne nicht einfach verordnet, sondern müsse neu errungen werden. Es bereite ihm große Sorgen, dass politische Akteure diese gesellschaftlichen Veränderungen nutzten, um einen Vorteil für sich daraus zu ziehen.
Irmgard Braun-Lübcke hat vor fünf Jahren ihren Mann, den CDU-Politiker und Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, verloren. Der Mord habe sie tief erschüttert und ihr Leben und das ihrer Familie grundlegend verändert, berichtete sie. Zugleich sei ihr klar gewesen, dass die Überzeugungen ihres Mannes nicht untergehen dürften. Lübcke war vor rund fünf Jahren auf der Terrasse seines Hauses von einem Rechtsextremisten erschossen worden. Der Politiker hatte sich für geflüchtete Menschen eingesetzt.
Geholfen habe ihr damals vor allem die Unterstützung von Menschen vor Ort, so Braun-Lübcke. Und zugleich hätten “uns die Enkel das Lachen zurückgebracht”. Die verwitwete Frau betonte, dass ihr eine verrohte Sprache, die auch zu Gewalttaten führen könne, große Sorgen bereite.
Erst rund acht Monate liegt der Fall des jüdischen Studenten Lahav Shapira zurück. Er wurde in Berlin-Mitte von einem Kommilitonen krankenhausreif geschlagen. Er kritisierte vor allem die Leitung der Freien Universität Berlin, von der er sich nicht unterstützt gefühlt habe. Schon vor dem Vorfall sei klar gewesen, dass Hetze und Pöbelei gegenüber jüdischen Studenten nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober des vergangenen Jahres zugenommen hätten. Zu ihrem Schutz sei nichts passiert.
Was also tun? “Was erwarten Sie von den politischen Akteuren?”, so fragte Steinmeier seine Gäste. Er wünsche sich eine klarere Haltung gegen Antisemitismus, so Shapira. Antisemitische Gewalttäter müssten notfalls auch exmatrikuliert werden. Hashemi plädierte dafür, dass sich Behörden stärker um Opfer von Anschlägen kümmern müssten. “Das war in Hanau katastrophal”, meinte er. Auch die politische Kultur müsse sich ändern. Es vergifte das Klima, wenn etwa Politiker die Migration als die Mutter aller Probleme bezeichneten. Das hatte der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) getan.
Braun-Lübcke forderte die Verantwortlichen auf, die Sozialen Medien “ganz intensiv in den Blick zu nehmen”. Hassbotschaften müssten schneller gelöscht und eine Strafverfolgung schneller eingeleitet werden. Notwendig sei zudem eine offene und respektvolle Kommunikation. Da sei auch die Zivilgesellschaft gefordert, ihre Werte zu verteidigen. Die Politik aber müsse dafür den Rahmen setzen.