Özdemir im Foodsharing-Cafe “Raupe Immersatt” in Stuttgart

Es war 2019 das erste Foodsharing-Cafe in Deutschland: Kampf gegen Lebensmittelverschwendung als Geschäftsprinzip. Nun besuchte Cem Özdemir, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, die Räumlichkeiten.

Als Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) am Freitagnachmittag das Cafe “Raupe Immersatt” in Stuttgart betritt, wird er von zahlreichen Kamerateams erwartet. Sie interessieren sich nicht nur dafür, dass sich das einst bundesweit erste Foodsharing-Cafe seit 2019 gegen die Verschwendung von Lebensmitteln engagiert. Die Medienvertreter sind auch gekommen, weil Özdemir (58) wohl als Spitzenkandidat der Grünen bei der baden-württembergischen Landtagswahl 2026 antreten wird und Ministerpräsident im “Ländle” werden könnte, als Nachfolger des seit 2011 amtierenden Winfried Kretschmann (75).

Auf die Journalistenfrage, warum er gerade hier sei, sagt Özdemir: “Weil ich mit Stuttgart den schönsten Wahlkreis überhaupt habe.” Das Cafe “Raupe Immersatt” lobt er für sein “tolles Konzept”, an seine Gäste Lebensmittel kostenlos zu verteilen, die zuvor bei mehr als 80 Partnern gesammelt wurden. Jeder Gast kann hier kostenlos Brot, Obst und Gemüse oder andere Lebensmittel aus dem “Fairteiler-Schrank” nehmen – die sonst auf dem Müll gelandet wären. Als Özdemir da ist, locken hinter der Vitrinenscheibe zum Beispiel Mohnbrötchen, aber auch Karamell-Waffeln. Der Minister bekommt einen Bananenkuchen kredenzt.

“Nur für die Getränke muss man bezahlen”, sagt Katrin Scherer, Vorstandsmitglied des Betreibervereins. Und zwar “so viel, wie es einem selbst wert ist”. Das Cafe finanziere sich “ausschließlich über Getränke”, sagt Scherer der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). “Der eine bezahlt für einen Cappuccino zehn Euro; dafür kann jemand anderer nur einen Euro zahlen.”

Das Cafe ist voll. Özdemir unterhält sich fast eine Stunde mit Scherer sowie mit Maximilian Kraft und Silvia Dittinger vom Verein “Raupe Immersatt”, der das Cafe betreibt. Der Schwabe Özdemir zeigt sich stolz, dass so eine Idee in Stuttgart erfunden wurde, wo auch der erste Dritte-Welt-Laden einst eröffnet wurde.

Inzwischen gibt es in Deutschland etwa eine Handvoll Foodsharing-Cafes, die in einem Netzwerk zusammengeschlossen sind. “Raupe Immersatt” heißt das Cafe in Stuttgart – in Anlehnung an den Bilderbuch-Bestseller “Die kleine Raupe Nimmersatt” des deutsch-amerikanischen Autors und Illustrators Eric Carle.

Die meisten Lebensmittel holen Mitglieder der Initiative “foodsharing.de” bei Kooperationsbetrieben ab. Das sind in Stuttgart etwa 80 bis 90 Betriebe – von Bäckereien über Supermärkte und Biomärkte bis hin zu Cafes und Restaurants. Außerdem bringen auch Privatleute sowie einige Gastronomie- und Cateringbetriebe in der unmittelbaren Nachbarschaft oder aus anderen Stadtteilen “regelmäßig ihre Überschüsse selbst vorbei”, wie die Betreiber auf der Seite des Cafes im Internet schreiben.

Özdemir nennt das Problem der Lebensmittelverschwendung in Deutschland “groß, zu groß”. Nach Angaben seines Ministeriums werden rund elf Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle in Deutschland jedes Jahr entsorgt und landen im Müll – auch essbare Lebensmittel. Jeder Verbraucher könne etwas daran ändern. “Zum Beispiel, indem man bedarfsgerecht einkauft – nur das, was man tatsächlich braucht”, sagt Özdemir. Ein Workshop des Cafes kam zu einem ähnlichen Ergebnis, wie eine Tafel mit Tipps an der Wand beweist: “Nicht hungrig einkaufen”, steht da zum Beispiel.

Mit der im Januar veröffentlichten Ernährungsstrategie “Gutes Essen für Deutschland” will das Bundeslandwirtschaftsministerium langfristig gesündere und ökologischere Ernährung fördern. Der Kabinettsentwurf sieht dazu etwa weniger Fleisch und zuckerhaltige Lebensmittel, dafür mehr Obst und Gemüse in Kitas und Schulkantinen vor. Die Opposition und auch der Koalitionspartner FDP warfen Özdemirs Ministerium bei der Vorstellung der Regierungsstrategie im Januar hingegen Bevormundung vor.

Die Initiatoren des Cafes mahnen mit Blick auf die bundesweite Verschwendung: “Wir erlauben uns, über die Hälfte unserer produzierten Lebensmittel wegzuwerfen”, heißt auf der Internetseite. Viele dieser Lebensmittelabfälle seien jedoch noch genießbar. Obst und Gemüse sähen nach ein paar Tagen zwar nicht mehr so knackig aus wie am ersten Tag. “Für die Tonne sind die Lebensmittel aber viel zu schade.”