Niedersachsen hat jetzt einen Anwalt für die Armen

Er will „informieren und wachrütteln“. Aber kann der erste kirchliche Armutsbeauftragte in Niedersachsen an der wachsenden Armut etwas ändern?

Die wachsende Armut ist nicht überall so sichtbar wie in den Großstädten. Auf dem Land verbirgt sie sich hinter Gardinen.
Die wachsende Armut ist nicht überall so sichtbar wie in den Großstädten. Auf dem Land verbirgt sie sich hinter Gardinen.Rolf Zöllner

„Ich kann kein Geld herbeizaubern“, sagt Florian Müller-Goldenstedt zu seiner neuen Aufgabe. „Aber ich kann in die Kirchengemeinden und die Lokalpolitik hineinwirken“, so der erste kirchliche Armutsbeauftragte Niedersachsens. Schon vor 30 Jahren hätten er und andere Engagierte damit Erfolg gehabt, erzählt der 66-Jährige. Damals hätten sie die Stadt Emden überzeugen können, dass sie etwas gegen Wohnungslosigkeit unternehmen müsse. So sei dort die erste Notunterkunft für Obdachlose entstanden. Auch jetzt müsse die wachsende Armut vieler Menschen zum Thema gemacht werden, sei mehr Engagement gefragt: „Wir können etwas bewirken.“

Fünf Stunden pro Woche hat Müller-Goldenstedt dafür zur Verfügung. „Ich möchte Armut stärker ins Gespräch bringen, informieren und wachrütteln. Politik und Gesellschaft müssen Armut endlich ernst nehmen“, beschreibt er seine Aufgabe. Doch wie genau er die neu geschaffene Stelle im Synodalverband Nördliches Ostfriesland ausgestalten werde, sei offen. „Wir arbeiten an einem Konzept.“

Auch im ländlich geprägten Raum wächst die Armut

Die Idee, einen Armutsbeauftragten zu benennen, sei auf einer Tagung in Berlin entstanden, an der auch Mitglieder der reformierten Kirche teilgenommen hätten, erzählt Müller-Goldenstedt. „Dort haben wir den bundesweit ersten kirchlichen Armutsbeauftragten für Berlin-Neukölln kennengelernt und wussten, dass wir so jemanden hier bei uns brauchen.“ Denn auch im ländlich geprägten Raum wachse die Armut, so Müller-Goldenstedt. Sie zeige sich allerdings nicht so offen auf der Straße wie in einer Großstadt, sondern verstecke sich hinter den Gardinen.

Müller-Goldenstedt bringt viel Erfahrung mit. Bis Ende 2022 hat der Sozialarbeiter den Tagesaufenthalt für Wohnungslose in Emden samt einer Einrichtung für medizinische Versorgung geleitet. „Bei der Arbeit ging es nicht nur um Unterkünfte, sondern um gesellschaftliche Missstände und Lösungen für ein besseres Leben von Wohnungslosen.“

Genauer hinschauen und etwas unternehmen

Dieser sozialpolitische Anspruch habe seinen Blick für Armut und ihre Ursachen geschärft. „Ich sehe mich als Anwalt für die Armen“, sagt Müller-Goldenstedt. Deswegen sehe er mit Sorge, dass viele Menschen die zunehmende Not anscheinend ignorieren und lieber wegschauen. „Ich kann das nicht. Wenn Menschen betteln, dann berührt mich das“, sagt Müller-Goldenstedt, der jetzt seinen Ruhestand genießen und sich zurücklehnen könnte. „Wir sprechen immer davon, wie reich Deutschland ist. Aber das trifft nur auf einen Teil der Bevölkerung zu.“ Rund 18 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen seien arm. „Wir sollten genauer hinschauen und etwas unternehmen.“