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Neues Wehrdienstgesetzt: Ein Pro und Contra

Die Reform des Wehrdienstes soll am 1. Januar 2026 in Kraft treten. Der Gesetzentwurf wurde im Bundestag beschlossen. Jugendliche streikten jetzt dagegen. Ein Pro und Contra zur aktuellen Situation.

Der Gesetzentwurf zur Wehrdienstreform wurde vom Bundestag gebilligt. Tausende Schülerinnen und Schüler gingen dagegen auf die Straße
Der Gesetzentwurf zur Wehrdienstreform wurde vom Bundestag gebilligt. Tausende Schülerinnen und Schüler gingen dagegen auf die StraßeImago / Photothek

Der Bundestag hat am vergangenen Freitag über einen neuen Wehrdienst abgestimmt. Eine Mehrheit der Abgeordneten nahm die Reform an. Der Bundesrat muss dem Vorhaben noch zustimmen. Vorgesehen ist ein massiver Aufwuchs der Streitkräfte möglichst auf freiwilliger Basis. Bei einem Mangel an Rekruten kann aber nach weiterem Gesetzesbeschluss eine Pflicht greifen. Die besonders strittige Frage, wen eine Zwangseinberufung trifft und wie sie fair gestaltet wird, muss noch geklärt werden. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sieht in der Gesetzesreform einen entscheidenden Schritt hin zur Verteidigungsfähigkeit des Landes. Die ebenfalls am Freitag stattgefundenen Schülerstreiks beklagen eine Debatte und Beschlüsse, die ohne ihre Beteiligung geführt und getroffen werden. Ein Pro und Kontra zur aktuellen Situation:

PRO von Gerd-Matthias Hoeffchen – Frieden braucht Schutz

Neulich im Zug saß neben mir eine Soldatin. Sehr jung – und doch in Uniform. Am liebsten hätte ich gesagt: Thank you for your service („Danke für Ihren Dienst“). In anderen Ländern ist es selbstverständlich, Menschen zu danken, die bereit sind, das Gemeinwesen zu schützen. Bei uns tut man sich schwer damit. Vielleicht, weil wir uns lange einreden konnten, Sicherheit sei selbstverständlich – weil andere unseren Schutz übernommen hatten.

Doch die Geschichte – und Putins Angriffskrieg – zeigt: Schwäche wird in der Logik autoritärer Regime oft als Einladung verstanden. Wir mögen uns Frieden wünschen, aber der Wunsch allein reicht nicht. Abschreckung wirkt nur, wenn sie glaubwürdig ist. Auch die neue Friedensdenkschrift der EKD betont: Frieden braucht Schutz. Psalm 34 ruft uns zu: „Suche den Frieden und jage ihm nach!“ – nach Bequemlichkeit klingt das nicht.

Natürlich wäre es besser, genügend Freiwillige zu finden. Doch der aktuelle Bedarf zeigt: Das wird nicht reichen.

Viele Jugendliche haben jetzt gegen den Wehrdienst demonstriert. „Wir wollen nicht für euch sterben“, rufen sie. Diese Sorge ist verständlich – niemand darf leichtfertig über das Leben anderer verfügen. Gerade deshalb müssen wir sie ernst nehmen und darüber sprechen. Sie übersieht aber zwei Dinge: Abschreckung soll ja gerade Leben schützen, nicht opfern. Und sie gelingt nur, wenn genügend Menschen bereit sind, ihren Teil zu leisten.

Gleichzeitig klingt das „für euch“ so, als opfere die ältere Generation die jungen. Tatsächlich aber geht es um die Sicherheit aller, und die Älteren haben ihren Beitrag längst geleistet – im Wehr- oder Zivildienst, durch Erziehung, Arbeit und die Finanzierung des Sozialstaats. Generationengerechtigkeit heißt, dass jede Generation ihren Anteil trägt, immer wieder aufs Neue. Frieden ist kein Naturzustand. An der Küste weiß man: Damit die Deiche halten, müssen alle mit anpacken.

Reinhard Mey sang: „Nein, meine Söhne geb’ ich nicht.“ Heute müssen wir uns fragen, ob wir wirklich erwarten, dass andere unsere Freiheit schützen, während wir uns der Verantwortung entziehen. Ein Pflichtjahr – militärisch oder zivil – wäre ein Bekenntnis zu dieser gemeinsamen Verantwortung.

Unser Autor Gerd-Matthias Hoeffchen
Unser Autor Gerd-Matthias HoeffchenUK

CONTRA von Angela Wolf – Jugendliche brauchen Anerkennung

Die Jugend ist zurück auf der Straße. In dutzenden Städten protestieren Schülerinnen und Schüler gegen die drohende Wiedereinführung der Wehrpflicht. “Sorry für den Lärm, aber ihr hört uns sonst nicht!” bekunden sie auf Demobannern. Sie haben recht. Die, die potenziell am stärksten davon betroffen sind, Deutschland wieder “kriegstüchtig” zu machen, verschaffen sich Gehör und fordern, endlich in die Debatte um eine drohende Militarisierung einbezogen zu werden. Und auch generell wollen junge Menschen ernst genommen werden.

Immer noch schwer gebeutelt von den Lockdowns, Schulschließungen und Kontaktsperren der Corona-Pandemie haben auch meine Kinder mit täglichen Herausforderungen zu kämpfen. Schlecht ausgestattete Schulen, ständiger Unterrichtsausfall, überforderte Lehrkräfte und die nie wieder aufgeholten Lücken des Unterrichtsstoffs. Sie haben eine Klimakrise im Nacken, deren Auswirkungen nicht greifbar ist. Sie kämpfen mit Social Media und dessen schlechtem Ruf oder lauschen Gesprächen von Erwachsenen, die davon erzählen, dass die Jugendarbeitslosigkeit wieder steigt und die Mieten im Lande nicht mehr bezahlbar sind.

Die Teenager von heute blicken auf eine unsichere Zukunft. Gewürdigt für die Opfer, die sie schon jetzt bringen, werden sie nicht. Im Gegenteil: Politisch und gesellschaftlich spielen Kinder und Jugendliche in diesem Land kaum eine Rolle. “Ihre Belange haben hierzulande keine Priorität”, bestätigt auch Sabine Andresen, die Präsidentin des Deutschen Kinderschutzbundes. Wer von dieser Generation jetzt einen bedingungslosen Einsatz in Form von Wehr- oder Ersatzdienst fordert, tut dies aus einer Überheblichkeit heraus, die seinesgleichen sucht.  Das neue Wehrdienstgesetzt ist deswegen nicht geboten.

Bei uns zuhause läuft jetzt häufiger Reinhard Mey. Denn – ich gebe meine Kinder nicht. Im Gegenteil: Ich bestärke sie darin, dass sie jetzt politische Forderungen stellen und eine echte Mitsprache verlangen. Ich bestärke sie darin, dass sie sich einer Gesellschaft verweigern, die sie nicht ernst nimmt und nicht in der Lage ist, Bedingungen für ihr Aufwachsen zu schaffen, die von Anerkennung und Wertschätzung geprägt sind.

Unsere Autorin Angela Wolf
Unsere Autorin Angela WolfStudioline