Neues Buch über Stauffenberg: Von Landesverrätern zu Helden

Im Sommer jährt sich das Attentat gegen Hitler vom 20. Juli 1944 zum 80. Mal. Buchautorin Ruth Hoffmann zeigt, dass Attentäter Stauffenberg zum Mythos geworden ist – und der Widerstand von vielen Seiten vereinnahmt wurde.

Der 20. Juli 1944 ist ein schwieriger Gedenktag: Einerseits sind die Hitler-Attentäter um Claus Graf Schenk von Stauffenberg vielfach zu unerreichbaren Helden stilisiert worden – bis hin zum Hollywood-Film “Operation Walküre” mit Tom Cruise. Andererseits bewiesen die Umsturzpläne den Deutschen, dass man durchaus etwas gegen die Nazis hätte tun können – eine Einsicht, die lange verdrängt wurde.

Kurz vor dem 80. Jahrestag des missglückten Hitler-Attentats hat die Journalistin Ruth Hoffmann ein Buch über das schwierige Erbe des 20. Juli vorgelegt. Ihr Werk “Das Deutsche Alibi” hat es gerade in die Runde der letzten acht Bewerber für den Deutschen Sachbuchpreis geschafft.

Hoffmann fordert einen “ehrlichen Blick”. Sie will dem “Mythos”, der um Stauffenberg und den Umsturzversuch entstanden ist, auf den Zahn fühlen, die Legenden um diesen Widerstand hinterfragen und auf die gesellschaftliche Vielfalt der Verschwörer hinweisen.

Die zentrale These ihres Buches: Nachdem die Angehörigen des Stauffenberg-Widerstands in der Nachkriegszeit noch lange als Landesverräter und Eidbrecher geschmäht und diffamiert wurden, wurde der 20. Juli in der jungen Bundesrepublik zunehmend politisch instrumentalisiert – er wurde zu einem “Datum im Dienst der Politik”, wie die Autorin schreibt.

Kanzler Konrad Adenauer hat sich selbst zum zehnten Jahrestag 1954 noch geweigert, die Verschwörer öffentlich zu würdigen. Außenpolitisch erschien ihm die Erinnerung an den 20. Juli aber doch nützlich: Gegenüber den Alliierten berief sich Adenauer nur allzu gern auf jenes “andere Deutschland”, um die Souveränität der BRD voranzutreiben.

Mit dem 20. Juli als Nachweis deutschen Widerstands habe der alte Kanzler auch Millionen ehemaliger NS-Anhänger und Mitläufer in den neuen Weststaat integrieren und später die Wiederbewaffnung vorantreiben können. “So wurde der ‘Aufstand des Gewissens’ zu einem Gründungsmythos des jungen Staats.” Stauffenberg wurde zur Ikone stilisiert, und die Verschwörer wurden zu vermeintlichen Wegbereitern der Demokratie, obwohl ihre Ideen für ein Nachkriegsdeutschland nicht unbedingt einer Demokratie entsprachen.

Noch heute gilt der 20. Juli 1944 als Umsturzversuch einer kleinen Gruppe konservativer und vor allem preußischer Adeliger und Militärs. Der erste Bundespräsident Theodor Heuss heroisierte die Beteiligten sogar 1954 als den “christlichen Adel deutscher Nation”.

In Wirklichkeit waren laut Hoffmann rund 200 Personen – ein breites Netz von Menschen aller sozialer Schichten und unterschiedlichster politischer Überzeugungen vom Gewerkschafter Julius Leber über den Jesuitenpater Alfred Delp bis zum früheren Leipziger Oberbürgermeister Carl Goerdeler – an den Planungen des Attentats und den Nachkriegsplänen beteiligt.

Auch in dieser Engführung sieht die Autorin keinen Zufall. Instrumentalisiert wurde der 20. Juli in viele Richtungen: Mal, um sich gegen die DDR abzugrenzen oder vergessen zu machen, dass der früheste und erbittertste Widerstand gegen das NS-Regime von links gekommen war. Sozialdemokraten, Kommunisten und Sozialisten hatten die Nazis von Anfang an bekämpft und wurden deshalb zu ihren ersten Opfern.

Auch diente diese Erzählung im Nachkriegsdeutschland dazu, Adel, Militär und bürgerliche Eliten zu rehabilitieren und vergessen zu lassen, dass sie als “Totengräber der Weimarer Republik” in großen Teilen den Aufstieg Hitlers massiv gefördert hatten. Hoffmann denkt bei der Konstruktion dieses Mythos insbesondere an die frühere Mitherausgeberin der Wochenzeitung “Die Zeit”, Marion Gräfin Dönhoff, die in ihrem publizistischen Wirken über Jahrzehnte die “echten Preußen” und ihre alten Tugenden beschworen habe.

Bis heute wird der Mythos geplündert: So kritisiert Hoffmann, dass die Feierlichkeiten zum 20. Juli zuletzt eine militärische Schlagseite erhalten hätten. Während seit 1999 in jedem Jahr am Gedenktag Soldaten im Bendlerblock vereidigt werden, bleibe der zivile Teil des Widerstands weithin unbekannt.

Hoffmann verweist darauf, dass die Vereinnahmung des 20. Juli mittlerweile bis in stramm rechte Kreise reicht. So nutzten die AfD, Impfgegner und Pegida die Erinnerung an 20. Juli, um ihren Widerstandswillen gegen das herrschende System zu bekunden und sich als überzeugte Patrioten in der Tradition Stauffenbergs darzustellen.