Erliegt die evangelische Kirche erneut der Logik des Krieges? Nein, ganz sicher nicht. Mit ihrer neuen Friedensdenkschrift sucht sie einen Weg, die Treue zur Gewaltfreiheit mit der immer drängenderen Frage nach der Verantwortung für den Schutz des Lebens zu verbinden. Sie reagiert damit auf eine Welt, in der Bedrohungen immer näher heranzurücken scheinen – politisch, digital, klimatisch.
Friedensdenkschrift: Warnende Stimmen mehr als Störgeräusche
Kritik an der Denkschrift ist berechtigt, ja notwendig. Denn jede Kirche, die sich auf „die Wirklichkeit“ einlässt, läuft Gefahr, ihr zu sehr nach dem Mund zu reden – Stichwort: Zeitgeist. Es ist wahr: Jesus lebt die Gewaltfreiheit vor. Die Stimmen, die jetzt warnen, sich davon abzukehren, sind also kein Störgeräusch, sondern Ausdruck jener Wachsamkeit, die das Gewissen herausfordert.

Dennoch: Die Denkschrift kommt zur rechten Zeit. Sie zeugt davon, dass auch Christinnen und Christen in der Welt leben, mit all ihren Ängsten, Widersprüchen und Zumutungen. Dass die Welt unsicher ist, ist nichts Neues – sie war es immer. Auch frühere Generationen kannten Krieg, Bedrohung und Gewalt. Neu ist, wie sehr sie die Gesellschaft verunsichern, ihre Wahrnehmung verändern. Die Denkschrift nimmt diese Erfahrung ernst: Sie anerkennt, dass sich nicht nur die Welt verändert, sondern auch unser Blick auf sie. Und sie versucht, diesem veränderten Empfinden gerecht zu werden.
Sie fragt, wie sich Frieden denken lässt, wenn Gewalt längst Teil des Alltags ist. Und sie erkennt an: Verantwortung kann auch bedeuten, Schuld auf sich zu nehmen, um größeres Unrecht zu verhindern.
Mahnung aus Pazifismus ist notwendig
Umso mehr braucht es die Mahnung aus dem Pazifismus. Er erinnert daran, dass auch die Kirche in Gefahr ist, sich zu sehr mit der vorherrschenden Meinung zu arrangieren. Diese Spannung ist kein Fehler, sondern der Kern christlicher Friedensethik. Wer die Denkschrift liest, sollte sie nicht als Abkehr vom Pazifismus verstehen, sondern als Einladung, die alten Fragen neu zu stellen: Wie können wir Gewalt begrenzen, ohne sie zu rechtfertigen? Wie bleibt die Hoffnung auf Frieden lebendig in einer Welt, die täglich das Gegenteil zeigt?
Die Denkschrift schreibt niemandem vor, was zu denken ist. Sie ruft auf, selbst zu prüfen und zu entscheiden. Diese Spannung aushalten, zwischen dem, was eigentlich sein sollte, und dem, was tatsächlich ist – die neue Denkschrift ist ein guter Anstoß dazu.
