Neue Bestattungsform „Reerdigung“ stößt auf gemischtes Echo

Feuerbestattungen sind beliebt, benötigen aber fossile Energie. Ein Berliner Unternehmen wirbt für eine energieärmere Methode. Die „Reerdigung“ wird in Schleswig-Holstein erprobt – und sorgt für gemischte Reaktionen.

Urne oder Sarg? Nach dem Tod können die Deutschen zwischen diesen beiden Bestattungsformen wählen – und entscheiden sich derzeit mit großer Mehrheit für die Urne. Der Anteil der Feuerbestattungen lag laut Statistischem Bundesamt im vergangenen Jahr bei 78 Prozent. Als Grund nennen viele Menschen die geringeren Kosten. Manche empfinden eine Einäscherung auch als hygienischer. Um eine Leiche zu verbrennen, sind jedoch Strom oder Gas nötig, die meist klimaschädliches CO2 verursachen.

Die Firma Circulum Vitae (deutsch: Kreis des Lebens) hat eine neue Bestattungsform entwickelt, die weitgehend ohne diese Energie auskommen will. Bei der „Reerdigung“, die es so ähnlich bereits in einigen Bundesstaaten der USA gibt, wird der Körper im Schnellverfahren kompostiert. Unter der Marke „Meine Erde“ wirbt die Firma damit, dass das Verfahren dieselben Vorzüge wie eine Feuerbestattung biete, aber weniger CO2 freisetze und nachhaltiger sei. Seit Februar 2022 erprobt sie das Verfahren als Pilotprojekt in Schleswig-Holstein.

In zwei Kapellen auf evangelischen Friedhöfen in Kiel und Mölln steht je eine schwarze Wanne aus recyceltem Kunststoff, die das Unternehmen als „Kokon“ bezeichnet. Darin wird der nackte Leichnam auf ein leicht befeuchtetes Gemisch aus Heu, Stroh und Blumen gebettet. Dann wird der Behälter für 40 Tage verschlossen. „Es werden keine Insekten oder Chemikalien zugegeben, lediglich Umgebungsluft wird zugeführt“, sagt Co-Geschäftsführer Pablo Metz. „Die Mikroorganismen, die die Transformation in Erde durchführen, sind in unserem Körper schon vorhanden“, erklärt der 42-jährige Unternehmer.

Der „Kokon“ wird in regelmäßigen Abständen elektrisch langsam hin und her gewiegt. „Sonst würde sich das Wasser durch die Schwerkraft am Boden absetzen.“ Am Ende der 40 Tage wird der Behälter wieder geöffnet. „Dann ist alles – sowohl das Bett aus Heu und Stroh als auch das humane Weichgewebe – zu Erde vergangen.“ Nur die Knochen blieben übrig. „Sie werden, wie im Krematorium auch, mit einer Knochenmühle gemahlen und der Erde wieder beigemischt.“

Das Material wird in ein Tuch aus Naturfasern gepackt und in einem Sarg zum Friedhof transportiert, wo das Bündel in die Grabstelle gelassen wird. „Dann kann das Tuch noch entnommen werden, sodass tatsächlich nur Erde daliegt.“

Eine „Reerdigung“ kostet laut Metz – ohne Bestatter und Grab – 2.900 Euro. Zum Vergleich: Für eine Verbrennung werden laut Bundesverband Deutscher Bestatter einschließlich Kremationssarg mindestens 1.000 bis 1.600 Euro fällig. Auch hier kommen Bestatter und Grab sowie die Urne hinzu.

Einige Experten sehen die neue Bestattungsform kritisch. Das Verfahren sei bislang wissenschaftlich kaum erforscht, schreiben die Hamburger Rechtsmediziner Klaus Püschel und Benjamin Ondruschka sowie ihr Frankfurter Kollege Marcel A. VerhoffDie Firma habe die genaue Zusammensetzung des Pflanzengemisches nicht veröffentlicht. Auch sei bislang nicht bekannt, wie sichergestellt werde, dass keine Krankheitserreger übrigblieben.

Die Zusammensetzung des Gemisches will Metz aus unternehmerischen Gründen nicht verraten. Dem schleswig-holsteinischen Gesundheitsministerium liege sie vor, versichert er. Zudem habe seine Firma eine wissenschaftliche Untersuchung am rechtsmedizinischen Institut der Universität Leipzig beauftragt. Ein erster Bericht stehe kurz vor der Publikation, sagt der dortige Projektleiter Marcus Schwarz. Er und sein Team hätten Erd- und Knochenproben von vorerst zwei menschlichen und drei tierischen Leichen untersucht. Für ihn ist die „Reerdigung“ nach ersten Erkenntnissen unbedenklich für Mensch und Umwelt.

„Bei der Reerdigung wird praktisch der humusbildende Prozess im Oberboden nachgestellt“, erklärt der Forstwissenschaftler und Insektenkundler. „Das entstandene Material hat einen frischen, erdigen Geruch. Es stinkt nicht und macht keinen negativen Eindruck.“

Entscheidend sei, dass den Knochen kein Weichgewebe mehr anhafte. Sie seien in etwa in dem Zustand, als wenn sie 20 bis 40 Jahre im Boden gelegen hätten. Krankheitserreger wie Grippe- und Coronaviren würden die Temperaturen von 70 Grad, die im „Kokon“ zeitweise herrschten, nicht überleben.

Für unabdingbar hält Schwarz, dass die Leiche vor der „Reerdigung“ – wie bei der Feuerbestattung – erneut durch einen Mediziner gesichtet wird. Mit der starken Zersetzung des Toten gehe eine Spurenvernichtung einher. Eine solche „zweite Leichenschau“ war von Anfang an Voraussetzung für das Pilotprojekt in Schleswig-Holstein.

Kirchenvertreter stehen der neuen Bestattungsform aufgeschlossen gegenüber. Im Vergleich zur Feuerbestattung würden ökologische Belange deutlicher berücksichtigt, heißt es in einer Stellungnahme der evangelischen Nordkirche für das Kieler Gesundheitsministerium. Die Projektbetreiber seien sehr bemüht, die übliche Pietät auf dem Friedhof zu wahren.

Der katholische Moraltheologe Peter Schallenberg kommt sogar zu der Einschätzung, die „Reerdigung“ sei einer Verbrennung vorzuziehen. In einer Stellungnahme im Auftrag des Unternehmens verweist er darauf, dass das katholische Kirchenrecht zwar eine Feuerbestattung nicht verbiete, aber eine Erdbestattung empfehle. Sie bringe die Würde der Schöpfung besser zum Ausdruck. Die „Reerdigung“ könne als eine Unterform der Erdbestattung gelten. Sie sei deutlich preiswerter als eine klassische Erdbestattung und umweltverträglicher als eine Feuerbestattung.

Laut Geschäftsführer Metz wurden in Schleswig-Holstein bislang elf Tote „reerdigt“. Die Nachfrage aus ganz Deutschland nach dem neuen Verfahren sei hoch.

Das Kieler Gesundheitsministerium plant, die „Reerdigung“ im Rahmen einer Reform des Bestattungsgesetzes dauerhaft zu erlauben. Auch in Sachsen-Anhalt gibt es Bestrebungen, die Methode zuzulassen.

Andere Bundesländer haben hingegen vorerst eine Absage erteilt. Es sei bislang nicht belegt, „dass Gesundheitsgefahren für die Bevölkerung ausgeschlossen“ seien, hieß es aus dem NRW-Gesundheitsministerium. Und der bayerische Gesundheitsminister meint: „Die Reerdigung entspricht aus Sicht der Staatsregierung nicht dem sittlichen Empfinden der Allgemeinheit.“