Missbrauch in der Landeskirche Hannovers: Vertuscht, versäumt, versagt

Eine unabhängige Kommission stellt der Landeskirche Hannovers schlechte Noten bei der Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt aus. Auch der Landesbischof steht in der Kritik.

Christa Paul und Wolfgang Rosenbusch von der Aufarbeitungskommission stellen die Ergebnisse ihrer Untersuchungen vor.
Christa Paul und Wolfgang Rosenbusch von der Aufarbeitungskommission stellen die Ergebnisse ihrer Untersuchungen vor.epd-bild/Jens Schulze

Die Landeskirche Hannovers steht in einem schlechten Licht, wenn es um die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt geht. „Wenn wir nicht aktiv ermittelt hätten, dann hätten die Akten keine Auskunft über sexualisierte Gewalt gegeben“, sagt Wolfgang Rosenbusch. Der Jurist aus Hannover hat zusammen mit Christa Paul, einer Hamburger Professorin für Soziale Arbeit, mehrere Missbrauchsfälle aus den 70er-Jahren in der Kirchengemeinde Oesede bei Osnabrück untersucht, die bisher nicht aufgearbeitet waren.

Nach der Durchsicht vieler Dokumente, Akten und Protokolle und etlichen Gesprächen kommt der ehemalige Vorsitzende Richter am Landgericht Hannover zu dem Schluss, dass die sexualisierte Gewalt damals vertuscht werden sollte. „Wenn die Verantwortlichen in der Gemeinde verantwortlich gehandelt hätten, dann hätten weitere Taten nicht stattgefunden“, betont Rosenbusch. Er spricht von mindestens sieben weiteren Betroffenen. Stattdessen sei der Täter, ein angehender Diakon, geschützt worden und noch Jahre tätig gewesen, bis er 1977 entlassen wurde. Die Betroffenen seien dagegen eingeschüchtert worden. „Niemand hat die Kinder als Opfer wahrgenommen.“

„Erhebliche Versäumnisse“ im Umgang mit Missbrauch

Die bitteren Erkenntnisse der „Unabhängigen Aufarbeitungskommission Oesede“, die erst 2021 ihre Arbeit aufgenommen hat, beschränken sich jedoch nicht allein auf die Vergangenheit. Im sozialwissenschaftlichen Teil der Untersuchung weist Christa Paul der Landeskirche Hannovers anhand zahlreicher Interviews „erhebliche Versäumnisse“ im Umgang mit den Missbrauchsfällen in Oesede bis in die Gegenwart nach. So habe es die Landeskirche verpasst, die Gemeinde in Oesede 2010 darüber zu informieren, als sich eine Betroffene bei der Landeskirche gemeldet habe. Dadurch sei eine zeitnahe Aufarbeitung unterblieben.

Außerdem kritisiert Paul, dass die „Ansprechstelle Sexualisierte Gewalt“ der Landeskirche bis in die 2020er-Jahre unzureichend ausgestattet gewesen sei. „Das hat deutlich negative Folgen für die Betroffenen.“ Ein weiteres Ergebnis der Untersuchung betrifft die mangelnde Unterstützung von Kirchenkreis und Gemeinde durch Verantwortliche in der Landeskirche Hannovers.

Kritik gibt es auch an Landesbischof Ralf Meister

Einige Interviewte bemängeln auch, dass Landesbischof Ralf Meister seiner Verantwortung nicht ausreichend nachgekommen sei. „Das geht so nicht, dass er sich da raushält“, heißt es in einem der Interviews. Vielmehr hätte Meister mit den Betroffenen sprechen müssen.

Doch auch an der Arbeit der Aufarbeitungskommission gab es Kritik. „Bezogen auf meine Erfahrungen und Erlebnisse ist die Studie für mich krachend gescheitert“, sagt Lisa Meyer, so ihr selbst gewähltes Pseudonym. Die Betroffene hat vor drei Jahren den Anstoß zur Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in Oesede gegeben. Aus ihrer Sicht sei es zu Verstößen gegen forschungsethische und moralische Prinzipien und zu Verletzungen des Datenschutzes gekommen, klagt Meyer, die in der Untersuchung auch selbst zu Wort kommt.

Betroffene wirft der Kommission Versagen vor

Der Aufarbeitungskommission wirft sie vor, von ihr weder über das Studiendesign noch über die Datenschutzgrundverordnung informiert worden zu sein, wie es ihrer Meinung nach die Informationspflicht geboten hätte. „Sowohl die Kommission als auch die Landeskirche Hannovers haben bezogen auf ihren Umgang mit mir als Betroffene und Studienteilnehmerin auf ganzer Linie versagt. Mein Vertrauen ist nachhaltig zerstört.“

Strittig ist die Weitergabe von vertraulichen E-Mails zwischen Lisa Meyer und der Aufarbeitungsbegleitgruppe aus dem Jahr 2021 sowie der Landeskirche Hannovers und der Betroffenen aus den Jahren 2020 bis 2021. „Weder die Aufarbeitungskommission noch die Landeskirche haben mich im Vorfeld über diese Datenanforderung informiert oder mein Einverständnis eingeholt“, ärgert sich Meyer. Sie fühle sich erneut ohnmächtig und hilflos. Bis heute wisse sie nicht, unter welchen Umständen die Daten weitergegeben worden seien. „Die Kommission und die Landeskirche schieben sich gegenseitig die Auskunftspflicht zu.“

Angesichts dieses Konflikts habe sie nur als Zuschauerin an der Pressekonferenz zur Vorstellung des rund 100-seitigen Berichts teilnehmen dürfen, erzählt Meyer. „Es war angedacht, die Vorstellung der Untersuchungsergebnisse gemeinsam zu gestalten. Schließlich spiele ich eine zentrale Rolle.“

Die Studienergebisse betrachtet Lisa Meyer jedoch als gute Arbeit: „Dafür bin ich sehr dankbar.“