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Militärpfarrer: “Der Krieg rückt näher”

Militärpfarrer Bernd Rosner erlebt eine Bundeswehr im Umbruch und macht sich Sorgen. “Die Kriegsgefahr ist so hoch wie lange nicht mehr.”

Militärpfarrer Bernd Rosner ist für rund 3000 Soldatinnen und Soldaten am Standort Munster zuständig
Militärpfarrer Bernd Rosner ist für rund 3000 Soldatinnen und Soldaten am Standort Munster zuständigprivat

„Der Krieg ist nähergerückt, zumindest im Kopf“, sagt Militärpfarrer Bernd Rosner. Seit mehr als zwei Jahren ist der gebürtige Schwabe am Bundeswehrstandort Munster. Seitdem kann er jeden Tag aufs Neue miterleben, wie sehr der Krieg in der Ukraine, aber auch die „Zeitenwende“ das Leben am größten deutschen Truppenübungsplatz verändern.

„Es ist hier deutlich mehr los, dauernd gibt es Übungen, dauernd wird geschossen. Der Zeitplan der Soldatinnen und Soldaten ist voll“, beschreibt der 44-jährige Seelsorger die zunehmende Betriebsamkeit. „Da muss man das Gefühl bekommen, dass der Ernstfall keine Theorie mehr ist.“

An neuen Aufgaben sei dies abzulesen. „Irgendjemand muss jetzt lernen, die Zink-Särge zu löten. Das haben früher die US-Armee und die britische Armee übernommen, weil die vorne waren.“

Die Ukrainer zeigen Bilder von Toten und erzählen vom Krieg

Zur neuen Wirklichkeit der Bundewehr-Soldatinnen und -soldaten gehören auch die persönlichen Begegnungen und Gespräche mit Soldaten aus der Ukraine, die in Munster an der Artillerie und „allem, was fährt“, ausgebildet werden. „Die Ukrainer zeigen Bilder und Videos von ihren Toten und erzählen hautnah von all dem Leid, das sie erleben. Das ist was anderes, als sich Videos vom Krieg auf Youtube anzusehen“, erklärt Rosner. „Unsere Soldaten bekommen jetzt ein echtes Bild davon, wie schrecklich der Krieg ist. Alle spüren, der Krieg ist nicht weit weg, ich könnte selbst in den Krieg kommen.“ Dadurch werde die eigene Sterblichkeit zu einem Thema.

Sich Sorgen wie diese anzuhören, gehört zu Rosners wichtigster Arbeit als Militärgeistlicher. Daneben feiert er Gottesdienste, erteilt „Lebenskundlichen Unterricht“ und fährt mit den Soldaten und ihren Angehörigen auf „Rüstzeiten“.

Insgesamt rund 3000 Soldatinnen und Soldaten am Standort Munster hat der Seelsorger zu betreuen. Daneben ist er für die rund 600 Mitglieder der Militärkirchengemeinde St. Stephanus in Munster zuständig. „Ich bin wie ein Dorfpfarrer, bei dem alle ihr Herz ausschütten.“

Die Soldaten sind frustriert, weil ihnen das Übungsmaterial fehlt

In vielen seelsorgerlichen Gesprächen mit den Soldaten und ihren Angehörigen gehe es um familiäre Probleme und die mitunter wochenlangen Trennungen, die der Dienst an der Waffe mit sich bringe. Es gehe aber oft auch um fehlende Ausrüstung und den damit verbundenen Frust der Soldaten, erzählt Rosner, der ursprünglich Grund- und Hauptschullehrer war und erst auf dem zweiten Bildungsweg einem Herzenswunsch folgte und Pfarrer wurde. „Die Soldaten können ihrer Aufgabe nicht nachkommen, weil ihnen das Material zum Üben fehlt. Das frustriert sie.“

Auch mit ethischen Konflikten kommen die Soldaten zu Rosner, der allein lebt. „Soll man im Kriegsfall helfen, wenn man einen verletzten Zivilisten sieht, und sich dadurch in Gefahr bringen?“ Das sei eine schwierige Entscheidung, an der Soldaten schwer zu tragen hätten, betont Rosner.

Mit Sorge blickt der Militärpfarrer auf die deutsche Gesellschaft, die er für schlecht auf den Ernstfall vorbereitet hält. Autobahnen wären gesperrt, Deutschland würde zur Drehscheibe werden. Krankenhäuser müssten die Verletzten versorgen, sagt Rosner. Auch für ihn wird es in den kommenden Monaten ernst. Ende April begleite er Soldaten nach Litauen, erzählt Rosner. Die Welt werde immer unruhiger. Da sei es wichtig, möglichen Gegnern die Grenze aufzuzeigen. „Das macht mir aber auch Angst. Denn ich glaube, dass die Kriegsgefahr so hoch ist wie lange nicht mehr.“