Menschen zu retten, ist nicht verhandelbar

Der Kapitän und Seenotretter Claus-Peter Reisch berichtet in einem Vortrag über dramatische Erlebnisse bei der Rettung Geflüchteter im Mittelmeer.

Kapitän Claus-Peter Reisch hat zahlreiche Menschen vor dem Ertrinken im Mittelmeer gerettet.
Kapitän Claus-Peter Reisch hat zahlreiche Menschen vor dem Ertrinken im Mittelmeer gerettet.epd/Johannes Filous/Seacoverage

Meldorf. Es sind Szenen, wie sie sich trostloser und leidvoller kaum denken lassen: leere Schlauchboote, die im Meer treiben. Darin teils noch Hinterlassenschaften – aber keine Menschen. Niemand hat markiert, dass die Passagiere gerettet wurden. Was nur einen Schluss zulässt: Sie sind ertrunken, Kinder, Frauen, Männer.

Claus-Peter Reisch berichtet darüber und über viele weitere seiner Einsätze und Reisen der letzten Jahre. Der Kapitän und Seenotretter hält am Mittwoch, 25. August, einen Vortrag im Meldorfer Dom. Der Seemann, der seine Eindrücke in dem Buch „Das Meer der Tränen: Wie ich als Kapitän Hunderte Leben rettete“ festhielt, wird das Publikum mit Fotos und Filmen auf das Schiff mitnehmen. Er wird von Rettungsfahrten an Bord der Rettungsschiffe „Lifeline“ und „Eleonora“ 2018 und 2019, bedroht und behindert durch die libysche Marine, berichten.

Rettungsaktion war reiner Zufall

Aber auch von dramatischen Szenen, die glücklich enden – wie etwa, als er ein voll mit Menschen besetztes, im Untergang begriffenes Boot sichtete und die Passagiere vor dem Tod rettete. Ein Zufall: „Wären wir nur fünf Meilen weiter östlich oder westlich gefahren, oder wären die Wellen höher gewesen – wir hätten sie nicht mit unserem Radar gesehen.“

Im Anschluss an seinen Vortrag ist eine Gesprächsrunde vorgesehen. Zum Thema diskutieren neben Reisch­ auch Meldorfs Bürgermeisterin Uta Bielfeldt, Dithmarschens stellvertretende Pröpstin Astrid Buchin und Julian Wilkens, Jurist mit Schwerpunkt Seerecht. Die Veranstaltung beginnt um 19 Uhr.

Was Reisch am meisten bewegt, ist, dass „die Menschen sich trotz der Gefahren, die sie erwarten, auf den Weg machen. Das bedeutet, dass die Lebensbedingungen, die in ihrer Heimat herrschen, sehr schlecht sein müssen.“ Daher gehe es vor allem darum, die Fluchtursachen zu erkennen und etwas dagegen zu tun, so der Seenotretter. „Sonst doktern wir nur an den Symptomen herum, statt etwas gegen die Krankheit selbst zu unternehmen.“

„Niemand darf wegschauen“

Zur Flucht tragen dieselben Ursachen bei wie schon vor Jahren: kriegerische Auseinandersetzungen wie in Syrien und Afghanistan, der Klimawandel und wirtschaftliche Abhängigkeit. Bei den ersten beiden Themenfeldern hätten Einzelpersonen nur wenig Möglichkeiten, etwas zu verbessern, so Reisch. Anders sei das bei bitterer Armut in einem Dritte-Welt-Land: Diese sei häufig durch Industriestaaten verursacht.

Der Kapitän berichtet von Elend und Hoffnungslosigkeit in überfüllten Flüchtlingslagern in der Türkei. „Ich habe in meinem Leben einiges gesehen – aber das ließ auch mich verstummen“, macht der Seemann deutlich. Schockiert sei er über die Situation der Kinder dort, deren schlechter Gesundheitszustand und die Ausweglosigkeit ihrer Situation – von Unterricht an einer Schule können sie nur träumen, manchmal jahrelang.

Reisch kommt auf Einladung des Kirchenkreises

Nachdem Reisch im Frühjahr dem Bündnis „United4Rescue“ beigetreten war, hatten Ökumene­pastor Heiner Wedemeyer und Flüchtlingsbeauftragte Meike Röckendorf die Idee, ihn zu fragen. Es entstand ein Projekt, an dem sich auch Ökumenische Arbeitsstellen und Flüchtlingsbeauftragte der anderen Kirchenkreise beteiligten.

Der Gedanke, dem Bündnis beizutreten, sei automatisch gekommen, so Röckendorf: „Denn geflüchtete Menschen aus Seenot zu retten, ist nicht verhandelbar – weder rechtlich noch moralisch. Claus-Peter Reisch war auf dem Mittelmeer und kann darüber berichten, was über die täglichen Nachrichten hinausgeht.“ Wedemeyer betont: „Die zivile Seenotrettung ist die Antwort auf das Versagen der europäischen Politik, die Menschen ertrinken lässt, damit sie das Festland nicht erreichen.“ Menschen wie Reisch und die zivile Seenotrettung würden dort einspringen, wo staatliche Strukturen versagen: „Niemand darf wegschauen, auch wir in Dithmarschen nicht.“

Kirche, da sind sich die Initiatoren einig, dürfe sich dem Thema nicht verschließen. „Niemand darf in Verhältnisse zurückgezwungen werden, in denen Tod, Folter und Ausbeutung drohen. Wir stehen in Solidarität mit allen Menschen auf der Flucht“, so Röckendorf.

Kapitän Reisch legte im Jahr 2018 nach langer Irrfahrt mit 234 Flüchtlingen an Bord des Seenotrettungsschiffes „Lifeline“ in Malta an, wo er sich später vor Gericht verantworten musste. Das machte ihn und seine Besatzung international bekannt. Im Juni wurde er von einem Gericht freigesprochen.
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