Mehr wohnungslose Menschen in Schleswig-Holstein

Die Diakonie in Schleswig-Holstein hat im vergangenen Jahr erneut einen Anstieg bei der Zahl wohnungsloser Menschen registriert. 2023 nahmen 9.410 Menschen die Notunterkünfte und Wohnungslosenberatung der Diakonie in Anspruch und damit knapp 600 mehr als im Vorjahr, wie das Diakonische Werk am Mittwoch in Kiel mitteilte. Das ist ein Plus von rund sieben Prozent. Brennpunkte sind die großen Städte Kiel, Lübeck, Flensburg und Neumünster.

„Der erschütternde Trend setzt sich fort. Wir brauchen mehr bezahlbaren Wohnraum“, sagte Landespastor und Diakonie-Chef Heiko Naß bei der Vorstellung der aktuellen Wohnungslosenhilfestatistik der Diakonie. Zwar habe die Landesregierung in den vergangenen Jahren mehr für den Wohnungsbau getan. Die Anstrengungen reichten aber nicht aus, zumal die zuständige Investitionsbank die Antragstellung auf Fördermittel jüngst gestoppt habe. „Hier fordern wir dringend ein Umdenken“, sagte der Landespastor.

Gründe für den Anstieg der Wohnungslosenzahlen sind der Diakonie zufolge die Spätfolgen der Corona-Pandemie und die gestiegenen Preise durch die Inflation und den Ukraine-Krieg.

Sebastian Rehbach von der „Stadt Mission Mensch“ in Kiel berichtete von deutlich mehr Wohnungslosen in der Landeshauptstadt. „Großstädte sind attraktiv für Wohnungslose, weil sie dort anonym leben können und das Hilfenetzwerk gut ausgebaut ist.“ Die Stadt bemühe sich um die Unterbringung der Menschen, stoße aber aufgrund des Wohnungsmangels an ihre Grenzen. „Die Unterkünfte sind bis auf den letzten Platz belegt. Es reicht einfach nicht.“

Die Zahl der betroffenen Männer ist dabei doppelt so hoch wie die der Frauen. Frauen kämen häufig noch in Zweckgemeinschaften unter, bei Freunden etwa. Oder bei Männern, die von ihnen Sex als Gegenleistung forderten, erklärte die Wohnungslosenhilfe-Referentin von der Diakonie, Kathrin Kläschen. „Die Frauen, die dann doch zu uns kommen, sind oft sehr belastet, durch Drogenmissbrauch, sexuelle Gewalt oder eine zerstörte Familie.“

Nach wie vor fehle ein Mindeststandard in den Notunterkünften, was dazu führe, dass manche Menschen lieber auf der Straße schliefen. Es gebe kaum Schutzräume für Frauen und Familien. Eltern mit Kindern würden neben Menschen untergebracht, die Drogen konsumieren. Auch die Barrierefreiheit, etwa für Menschen im Rollstuhl, sei oft nicht gegeben.

„Dabei leben die meisten Menschen oft viel länger in einer Notunterkunft als nur ein paar Tage“, erklärte Naß. Die Dauer variiere zwischen einem Tag und bis zu neun Jahren. Sebastian Rehbach berichtete, dass seine Einrichtung im vergangenen Jahr nur 15 von 2.500 wohnungslosen Menschen in Kiel wieder eine Wohnung vermitteln konnte.

Nicht nur aufgrund der steigenden Zahl von Betroffenen geraten auch die Mitarbeiter in den Beratungsstellen und Notunterkünften unter Druck. Viele Betroffene litten unter psychischen Krankheiten oder seien drogenabhängig. „Tagestreffs, Beratungsstellen und Notunterkünfte berichten von zunehmender Gewalt unter den Klientinnen und Klienten sowie gegenüber den Mitarbeitenden“, sagte Rehbach.

Auch das Netzwerk der Wohnungslosenhilfe sei inzwischen überlastet. In der Suchthilfe, Psychiatrie und Pflege gebe es oft keine freien Plätze, keine Termine oder lange Wartezeiten.

Vanessa Trampe-Kieslich von der Diakonie Altholstein warb für mehr Prävention in der Wohnungslosenhilfe. In Neumünster habe die Diakonie eine Kooperation mit der Stadt und werde über Räumungsklagen umgehend informiert. „Wir können dann noch reagieren, zum Vermieter Kontakt aufnehmen und im besten Fall noch den Verlust der Wohnung abwenden“, erklärte Trampe-Kieslich.