Macht die Kirche genug für den Frieden?

Seit einem halben Jahr tobt der Angriffskrieg Russlands, auch Deutschland liefert Waffen – mit Billigung von Kirchenvertretern. Gleichzeitig laden die Kirchen zu Friedensgebeten ein. Reicht das?

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Altenkirchen/Rostock/Demmin. Vielleicht ist es naiv, sagt Pastor Christian Ohm aus Altenkirchen auf Rügen. Aber er hat diesen Traum, dass prominente Kirchenvertreter und andere Gläubige gemeinsam in die Ukraine oder zumindest bis zur polnischen Grenze pilgern könnten – als Zeichen für den Frieden. Der Papst zusammen mit Kardinälen, Bischöfen, Pastorinnen und Pastoren, Imamen, Rabinerinnen und vielen weiteren. „Es wäre ein gewaltiges und gewaltfreies Zeichen für die Welt“, findet Ohm. Genau so eines, wie derzeit schmerzlich fehle.

Seit Russland vor gut einem halben Jahr die Ukraine überfallen hat, hat sich in Deutschland, auch in Kirchenkreisen, weitgehend die Haltung durchgesetzt: Wir müssen Waffen liefern, damit die Ukrainer sich verteidigen können, auch wenn das bedeutet, den Krieg zu verlängern und am Tod vieler Menschen mit schuldig werden. Nur zu beten, sei zynisch, hatte etwa die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus früh gesagt. Und die Synodalen der Nordkirche formulierten auf ihrer Synode im Frühjahr, bei der sie zugleich zu Taten des Friedens und zu Friedensgebeten aufriefen, Waffen zur völkerrechtlich legitimierten Selbstverteidigung zu liefern, sei „vertretbar.“

Kaum noch Besucher

Für ein Ende des Krieges engagiert man sich in Kirchenkreisen auf eher leise Weise. Viele Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern laden seit Monaten regelmäßig zu Friedensgebeten ein, darunter etwa die in Güstrow, Laage, Lichtenhagen, Wustrow, Stavenhagen, Cammin, Zinnowitz, Kloster auf Hiddensee, die Stralsunder und die Rostocker Mariengemeinde. Die Besucherzahlen seien allerdings radikal gesunken, ist von mehreren Pastoren zu hören. „In der Phase der ersten Betroffenheit sind fast 80 Menschen zu den Friedensgebeten gekommen“, erzählt etwa Pastor Martin Wiesenberg aus Demmin. Inzwischen bete man in den normalen Gottesdiensten für den Frieden.

Auch Pastor Reinhard Scholl von der Rostocker Innenstadtgemeinde ist gerade dabei, die Friedensgebete, die im Februar mit 130 Besuchern gestartet waren, wieder einzustellen – weil zuletzt nur noch vier, fünf Menschen kamen. „Katastrophal“, findet er das. Eigentlich müsse man doch weiter zu Gott beten, weiter flehen, vielleicht auch schreien wie die Psalmbeter in der Bibel.

Warum kaum noch jemand kommt, findet er schwer zu sagen. Vielleicht liege es daran, dass die Aufgewühltheit der Menschen nachgelassen habe, sich alle mit der Lage arrangiert hätten. „Vielleicht hat es aber auch damit zu tun, welches Gottesbild wir als Kirche transportieren“, überlegt er. „Das zu untersuchen, wäre wichtig.“

Keine Zwischentöne

Unselig findet Scholl auch die Tatsache, dass in der öffentlichen Debatte schon wieder ein Schwarz-Weiß-Denken vorherrsche, Zwischentöne fehlten. Er selbst fühlt sich zerrissen, wenn er sich fragt, wie Deutschland, wie die Kirche sich positionieren sollten. Eine pazifistische Position wie der EKD-Friedensbeauftragte Friedrich Kramer könne er nicht vertreten, sagt Scholl, auch nicht als ehemaliger Bausoldat. „Ich finde, ich kann die Ukrainer nicht für meinen Pazifismus büßen lassen.“ Aber Waffen zu liefern, sei natürlich auch nicht unproblematisch.


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Pastor Ohm hat inzwischen begonnen, einmal im Monat Buß- und Betgottesdienste zu veranstalten, um diesem Gefangensein in zwei schuldhaften Alternativen Ausdruck zu verleihen. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) habe es für ihn auf den Punkt gebracht, sagt er: Wer bei einer militärischen Vergewaltigung zuschaue, mache sich schuldig; wer Waffen liefere, aber auch. „Weil auch die aus Deutschland gelieferten Waffen Menschen töten, Menschen verletzen, Häuser und Heimat zerstören“, wie Ohm betont. Diese Schuld gelte es, klar zu benennen. An die Delegierten des Ökumenischen Rats der Kirchen, die bis zum 8. September in Karlsruhe beraten, hat er inzwischen einen Brief geschrieben – damit sein Traum von den Friedenspilgern vielleicht doch Realität wird.

Derweil plant die Evangelische Akademie in Rostock, mit Jugend­lichen aus der Region nach Bonn ins Haus der Geschichte zu fahren, um sich mit den ost- und westdeutschen Friedensbewegungen seit 1945 zu befassen. „Für die Jugendlichen ist die Hilflosigkeit angesichts des Ukraine­kriegs schlimm“, meint Claudia Carla, Studienleiterin für Jugendbildung. Sie hofft, dass die Beschäftigung mit Bewegungen wie „Schwerter zu Pflugscharen“ den jungen Leuten Hoffnung macht – oder sie sogar auf Ideen bringt, wie sie sich heute für den Frieden engagieren könnten.