Bedford-Strohm: Demokratiefeindlichkeit ist kein ostdeutsches Problem

Unter dem Motto „Nie wieder ist jetzt“ hat das Aktionsbündnis Demokratisches MV zu Demonstrationen am 2. Juni gegen Rechtspopulismus und Demokratiefeindlichkeit aufgerufen. Damit verbunden soll am Sonntag vor den Kommunal – und Europawahlen am 9. Juni an zahlreichen Orten im Land ein Wahlaufruf für demokratische Parteien stattfinden. Für den ehemaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und jetzigen Vorsitzenden des Weltkirchenrates, Heinrich Bedford-Strohm, reichen Rassismus und Menschenfeindlichkeit in alle Teile der Gesellschaft hinein. Deswegen müsse ihnen überall entgegengetreten werden, sagte er in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Bedford-Strohm wird auf der Veranstaltung am Sonntag in Neubrandenburg als Redner erwartet.

epd: Warum ist Ihnen die Teilnahme an der Demonstration am Sonntag wichtig?

Bedford-Strohm: Gerade in jetzigen Zeiten von zunehmender Fremdenfeindlichkeit, menschenfeindlichen Parolen und zunehmendem Hass im Internet braucht es allen Einsatz für die Demokratie. Ich selbst habe nicht gedacht, dass die Demokratie noch einmal so unter Druck gerät. Sie ist die bestmögliche Staatsform und wir müssen aufstehen und demonstrieren für den Artikel 1 des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Dabei ist Demokratie für mich nicht nur eine Wahlform – Demokratie ist eine Vision!

epd: Worin sehen Sie Ursachen für die von Ihnen benannten gesellschaftlichen Entwicklungen der vergangenen Jahre?

Bedford-Strohm: Ich verweise schon lange auf die meiner Ansicht nach immer noch unterschätzte Rolle des Internets. Die Logik der Kommunikation im Netz ist eine völlig andere als die in der realen Welt. Die Betreiber von Internetplattformen wollen Geld verdienen, das geht über Klickzahlen. Die Algorithmen sind so programmiert, dass bestimmte Beiträge, die Fremdenfeindlichkeit und Hass schüren, nach oben gespült werden. Das bringt Klickzahlen. Menschenverachtende Aussagen sind salonfähig geworden. Wir müssen dieser vergifteten Internet-Logik eine an der Menschenwürde orientierte Diskurslogik gegenüberstellen. Unter anderem durch Demonstrationen, auf denen wir klar Flagge zeigen.

Eine weitere Ursache für die Entwicklung der letzten Jahre ist die Verunsicherung der Menschen. Angesichts der vielen und zunehmend komplexen Probleme auf der Welt hoffen viele auf einfache Lösungen, die es aber nicht gibt. Wir müssen klarmachen: Rechtspopulisten schüren die Ängste, haben aber keine wirklichen Vorschläge zur Gestaltung von Politik, jedenfalls keine, die mit der Menschenwürde vereinbar wären.

epd: Aktuell sorgt ein Video im Internet für Aufsehen, in dem zu sehen ist, wie am Pfingstwochenende bei einer Feier auf Sylt rassistische Parolen skandiert werden.

Bedford-Strohm: Ich bin dankbar für die Diskussion, die als Reaktion darauf entstanden ist. Sie zeigt erstens, dass Rassismus und Menschenfeindlichkeit keine allein ostdeutschen Probleme sind – so wie es viele in Westdeutschland lange sehen wollten. Es geht ganz klar um ein gesamtdeutsches Problem. Zweitens zeigt sich an der Gruppe derer, die es sich offensichtlich leisten können, auf Sylt zu feiern, dass die genannten Probleme bis in alle Teile der Gesellschaft hineinreichen. Wir alle sind deswegen gefragt, menschenfeindlichen Einstellungen auch überall beherzt entgegenzutreten. Es muss jedem deutlich sein: Hass ist keine Meinung. Hass ist Gift, das krank macht und manchmal tödlich ist.

epd: Was kann Kirche in Zeiten des eigenen Bedeutungsverlustes gegen diese Entwicklungen ausrichten?

Bedford-Strohm: Gerade jetzt kann Kirche etwas ausrichten! Die Bibel kann einer gefühlten Orientierungslosigkeit eine klare Grundhaltung gegenübersetzen: Jeder Mensch ist wertvoll, unabhängig von seiner Herkunft. Oder, wie es die 102-jährige Margot Friedländer, die den Holocaust überlebt hat und sich als Zeitzeugin engagiert, gerade gesagt hat: „Ich sage Ihnen, dass in meinen Adern das gleiche Blut fließt wie in Ihren: Es gibt kein christliches, kein jüdisches, kein muslimisches Blut – es gibt nur menschliches Blut, und wir müssen die Menschen respektieren.“