Liegt die Zukunft der Kirche in der Diakonie?

Viele Menschen schätzen das diakonische und pädagogische Handeln von Kirche und Diakonie. Das belegt die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung. Ist das die Zukunft der Kirche? Ein Gastbeitrag.

Haus der Diakonie Hattingen, Pflegende bei der diakonischen Arbeit
Haus der Diakonie Hattingen, Pflegende bei der diakonischen ArbeitIMAGO / Funke-Foto Services

Die Kirche, auch die evangelische, hat es schwer in diesen Tagen. ­Missbrauchsskandale, Profildebatten und Strukturrückbau trüben das Image und schlagen aufs Gemüt derer, die für die, mit oder von der Kirche leben. Manche Gottesdienste finden praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, die Wege zum Gemeindekreis werden länger und die Mitarbeitenden weniger.

Institution Kirche ist out, Werte und Nächstenliebe sind in

Während eine moderne Gesellschaft mehrheitlich darauf verzichtet, sich am Sonntagmorgen in aller Herrgottsfrühe von oben herab die Welt und (leider) auch Gott erklären zu lassen, gibt es jedoch kirchliche Orte, die sich hoher Nachfrage erfreuen: Christliche Kindergärten und Schulen, Pflegeeinrichtungen und andere diakonische Arbeitsfelder gehören dazu. Hier greifen auch Nichtchristen auf die Angebote der Kirche zurück, weil man dort neben dem vom Sozialgesetzbuch Garantierten einen Mehrwert erwartet in Haltung, Umgang und Ethos. Also dem, was als „zuwendende, barmherzige Nächstenliebe“ altmodisch klingen mag, aber in unserer gegenwärtigen Welt und Zeit so dringend nötig ist. Dafür ist die Kirche dann gut, denn darin – so wird erwartet – ist die Kirche gut.

EKD befragt Mitglieder

Das zeigt sich im subjektiven Erleben, in regionalen Bilanzen und nun auch in der unlängst auf der EKD-Synode vorgestellten VI. EKD-Kirchenmitgliedschaftsunter­suchung. Dort treten die Zustimmungswerte zum diakonischen und pädagogischen Handeln der Evangelischen Kirche in besonderer Weise aus der Datenlage hervor.

Tobias Petzoldt ist Geschäftsführer des Verbandes Evangelischer Diakonen-, Diakoninnen- und Diakonatsgemeinschaften in Deutschland
Tobias Petzoldt ist Geschäftsführer des Verbandes Evangelischer Diakonen-, Diakoninnen- und Diakonatsgemeinschaften in DeutschlandDieter Hemmmann

Danach zeigen sich kirchliche Lebensäußerungen nicht nur in gottesdienstlichen Ritualen, sondern es gehört für mehr als Dreiviertel der 5282 Befragten zum kirchlichen Kerngeschäft, sich aktiv in den Sozialraum einzubringen. Für 89 Prozent erweist sich Christsein in der Bemühung, ein anständiger Mensch zu sein, nur für 14 Prozent darin, regelmäßig zur Kirche zu gehen.

Christliche Worte und Werke gehören zusammen

Dass der Hauptgrund zum Austritt eine „unglaubwürdige Kirche“ (79 Prozent) ist, zeigt, dass Worte und Werke zusammengehören. Das Vertrauen in „Diakonie“ ist dabei höher als in „die Evangelische Kirche“. Auch der Hauptgrund, ­Kirchenmitglied zu bleiben, ist ein diakonischer: „Weil sie etwas für Arme, Kranke und Bedürftige tut“ und sich für „Solidarität einsetzt“.

Dabei ist für den Löwenanteil der Befragten das „Christentum die Grundlage der westlichen Kultur“. 80 Prozent benennen dafür „Kirchliche Bildungsangebote“ als eine Quelle ihrer religiösen Sozialisation. Eine hohe Zahl der evangelischen Befragten hat Kindergottesdienste (54 Prozent), Christenlehre (79 Prozent, Ost) und andere Angebote kirchlicher Kinder- und Jugend­arbeit (48 Prozent) erlebt. Dieser Fakt sowie die Erkenntnis, dass Konfirmation und Jugendgruppen neben Religionsunterricht und ­Eltern als wichtigste Faktoren zur Glaubensbildung genannt werden, unterstreichen die Bedeutung der Gemeindepädagogik.

Ohne Diakonie keine Zukunft der Kirche

Wird die Kirche der Zukunft also – um ein bekanntes Zitat des Mystikers Karl Rahner abzuwandeln – diakonisch sein oder nicht mehr sein? In jedem Fall muss sich eine zukunftsorientierte Kirche ihrer geistlichen Grundlagen besinnen, sensibel für die Herausforderungen der Zeit sein und sich aktiv ins ­Gemeinwesen einbringen. Kirche ist mehr als mittelalterliche Musik, liturgische Litanei und spiritueller Sermon.

Vielmehr gehören Werte und Werke, Haltung und Handlung, Gemeinde und Gemeinwesen untrennbar zusammen. Darum braucht es allen Spar­debatten zum Trotz auch künftig kirchliche Berufsgruppen neben den Pfarrpersonen, die spezifische Fachkompetenzen mit theologischer Haltungs- und Handlungskompetenz verbinden, wie etwa Diakoninnen, Sozialarbeiter, Gemeindepädagogen und Jugendreferentinnen.

Dabei darf nicht ein Handlungsfeld gegen ein anderes ausgespielt, sondern muss das wertschätzende und kompetenzorientierte Zusammenspiel verschiedener Dienste und Formate basis­orientiert gefördert werden. Denn kirchliches Handeln ist kein dogmatischer Selbstzweck, sondern erweist sich exemplarisch im geistlich begründeten Dienst an den Nächsten und Übernächsten. Um Gottes und der Menschen Willen.

Tobias Petzoldt ist Geschäftsführer des Verbandes Evangelischer Diakonen-, Diakoninnen- und Diakonatsgemeinschaften in Deutschland (VEDD).