Liebe macht Sinn

Jesus hat keine neue Gesellschaft verkündet, sondern die Versöhnung mit Gott. Aber das hat Folgen für unser Zusammenleben. Ein Beitrag zur Debatte um den Wert von Religion

Ist Religion gut für die Gesellschaft? In Ägypten denkt das Parlament über ein Gesetz nach, das den Glauben an einen Gott zur Pflicht machen würde. Begründung: Ohne Religion funktioniere eine Gesellschaft nicht. Hierzulande dagegen mehren sich seit Jahren die Stimmen, die darüber klagen, dass der Glaube zu viel Einfluss auf Politik und Gesellschaft habe.
Gesellschaft besser mit Religion oder ohne? Was ist also richtig?
Schauen wir uns den christlichen Glauben an. Da ist zunächst einmal festzuhalten: Jesus, wie er in der Bibel geschildert wird, wollte keine politische Ordnung aufbauen. Ihm ging es nicht in erster Linie darum, Werte, Normen oder Gesetze zu vermitteln. Er predigte nicht das Große und Ganze; keine neue, andere Gesellschaft. Der Wanderprediger aus Galiläa hatte den Einzelnen im Blick: Du bist geliebt von Gott. Dich ruft er. Du sollst ihm nachfolgen.
Und doch spürt jeder, der diese Stellen in den Evangelien mit offenem Herzen liest, dass diese Art der Nachfolge eben tatsächlich Folgen hat.
Da gibt es einen Gott, vor dem ich mich verantworten muss. Der mich nicht nur liebt, sondern möchte, dass ich diese Liebe an meinen Nächsten weitergebe. Der seinen Sohn Jesus Christus in das Zentrum eines Programms gestellt hat, das den Namen „Versöhnung“ trägt.
Jesus selbst fasst seine Botschaft folgendermaßen zusammen. Erstens: Gott lieben. Zweitens: den Nächsten lieben. Es fällt schwer, sich vorzustellen, wo da noch Eigennutz, Ausgrenzung oder Hass Platz haben sollten.
Jahrhundertelang, jahrtausendelang sind Religionen anders verstanden worden. Missverstanden. Absichtlich missverstanden. Missbraucht. Auch heute noch dient die Berufung auf Gott den Menschen immer wieder dazu, ihre Macht durchzusetzen und Recht zu behalten. Es geht immer wieder um die gleichen Themen: Herrschaft, Besitz, Landnahme. Zwang. Unterdrückung.
Diese Form von Religion ist völlig zu Recht in Verruf geraten. Sie führt regelmäßig zu Gewalt und Leid. Gnade uns Gott, wenn wir ihn vor den Karren unserer eigenen Großmannssüchte spannen.
Aber es gibt eben auch die andere Seite. Und zwar nicht nur im Christentum. So unterschiedlich die Weltreligionen sind – sie alle tragen in sich immer auch den Aufruf zu Barmherzigkeit und Nächstenliebe. Oder, um es modern zu sagen, zur Solidarität. Mag jede Form von Religion auch missbraucht werden können: In ihr schlummert der Kern zu einer besseren Welt.
Der Theologe Hans Küng hat das schon vor Jahren wunderschön mit seinem „Projekt Welt–ethos“ herausgearbeitet: Es kommt darauf an, was wir in der Religion sehen wollen. Den Aufruf zu Streit und „Heiligem Krieg“? Und zwar sowohl in der Weltpolitik wie im Alltag vor der Haustür. Oder der stete Zuspruch und Trost von außen; ob nun von Gott, Allah, Karma oder einer höheren Macht: Inmitten von all diesem Chaos in der Welt – Liebe und Solidarität machen Sinn. (Siehe auch Seite 10.)