Künstler und Provokateur – Georg Baselitz wird 85 Jahre alt

Der Maler, Bildhauer und Grafiker Georg Baselitz ist unangepasst und gut für Überraschungen. Er findet: „Künstler müssen widersprechen.“ Auch im hohen Alter fängt er noch neu an.

„Anderssein ist existenziell“ – Georg Baselitz vor seinem Bild "Blick über Brüssel hinüber"
„Anderssein ist existenziell“ – Georg Baselitz vor seinem Bild "Blick über Brüssel hinüber"epd-bild / Matthias Rietschel

Er stellt seine Motive auf den Kopf – das ist sein Markenzeichen. Er wolle das Bild aus der fatalen Abhängigkeit von der Wirklichkeit befreien, erklärte Georg Baselitz einmal. Das gebe ihm eine große künstlerische Freiheit. Der gebürtige Sachse zählt zu den bedeutendsten deutschen Künstlern der Gegenwart. Am 23. Januar wird er 85 Jahre alt.

Das Werk des selbstbewussten Malers und Bildhauers ist provokant, radikal und unangepasst. Regel- und Tabubrüche gehören dazu. „Künstler müssen widersprechen – wer, wenn nicht wir?“, fragte Baselitz bei einer Präsentation seiner Werke vor fünf Jahren in Dresden.
Schon Jahre zuvor hatte er behauptet: Für einen Künstler sei Talent gar nicht nötig, nur „das Anderssein ist existenziell“. Seine Werke vermitteln den Eindruck von Zerrissenheit und Disharmonien. Er selbst fühlt sich aber nach eigenen Aussagen nicht besonders aggressiv oder zerrissen. Er wolle vor allem „Bilder malen, die bisher nicht da waren“.

Emigration aus der DDR

Baselitz wird am 23. Januar 1938 als Hans-Georg Kern in Deutschbaselitz geboren, einem heutigen Stadtteil von Kamenz im sächsischen Landkreis Bautzen. Sein Künstlername nimmt Bezug auf den Ort seiner Kindheit. Er ist Kriegskind, sein Vater Nazi, das Verhältnis gestaltet sich schwierig. 1956 beginnt Kern ein Studium an der Hochschule für bildende und angewandte Kunst in Ost-Berlin, wird jedoch nach nur zwei Semestern wegen „gesellschaftspolitischer Unreife“ von der Hochschule verwiesen.

Der Maler wächst im Kalten Krieg auf und gehört zu den frühen Emigranten aus der DDR: 1958 zieht er nach West-Berlin, wo er sein Studium an der Hochschule für bildende Künste fortsetzt. Später lehrt er an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe und an der Hochschule der Künste in Berlin. Mit seiner Frau Elke ist er seit Jahrzehnten verheiratet, lebt mit ihr seit 2013 in Salzburg.

Die erste Einzelausstellung hat er 1963 in der Berliner Galerie Werner & Katz. Mit Darstellungen von nackten Männern sorgt er für Aufsehen. Zwei Gemälde werden gar als sexuell anstößig angesehen und von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt. Neben Gemälden, Holzschnitten und Linolschnitten beginnt Baselitz Ende der 70er Jahre mit Plastiken aus Holz. Er formt Figuren und Köpfe, die er nur grob bearbeitet und mit Farbe bemalt.

Vehement und ungestüm

Am liebsten stelle er seine neuesten Bilder aus, hat er einmal betont, denn von denen sei er „vollständig überzeugt“. Vielleicht arbeitet er auch deshalb ab 2005 an einem „Remix“: Dazu hat er einige seiner Werke noch einmal gemalt. Das Ergebnis war 2006 in der Pinakothek der Moderne in München zu sehen.

Den jüngsten Werkgruppen sagen Kritiker eine Leichtigkeit nach, die früher bei ihm nie erwartet wurde. Allen seinen Arbeiten eigen aber ist die Vehemenz, das Ungestüme. „Ich bin ein renitenter Typ“, findet Baselitz. Überall sei er rausgeflogen. Aber er habe auch unbedingt auffallen wollen. Schließlich müsse sich ein Maler durchsetzen.

Bekannt ist er für neoexpressionistische Gemälde, eine unverwechselbare, grobe Pinselführung sowie kräftige Farben. Den abstrakten Expressionismus der US-amerikanischen Maler und später die Pop-Art zählt er zu seinen wichtigsten Inspirationen.

Ölgemälde „Dystopische Glocken“ (2015) von Baselitz in der White Cube Gallerie in London
Ölgemälde „Dystopische Glocken“ (2015) von Baselitz in der White Cube Gallerie in Londonimago/Bettina Strenske

Baselitz hat sich mit der deutschen Geschichte, vor allem dem Trauma der Kriegs- und Nachkriegszeit, auseinandergesetzt. Seine grotesk überzeichnete Darstellung von arg zugerichteten, entwurzelten „Helden“ provozieren. Auch sein Arbeitsstil ist ungewöhnlich: Baselitz malt in der Hocke, auf den Knien oder auch mal im Liegen.

Im Jahr 1992 schenkte er der evangelischen Kirchengemeinde von Luttrum bei Hildesheim das Gemälde „Tanz ums Kreuz“. In dem Dorf war der Protest allerdings so stark, dass Baselitz das Gemälde wieder entfernte und in sein damaliges Domizil im nahegelegenen Schloss Derneburg brachte.

Arbeiten von ihm hängen weltweit in Museen und Sammlungen. Als einer der wenigen Deutschen durfte er eine Einzelausstellung im MoMA in New York gestalten. „Baselitz war immer und wollte immer ein moderner Künstler sein“, sagt der Galerist Fred Jahn in einem 2013 erschienenen Film, „nur die Moderne, die er wollte, die gab’s nicht“.

Neues Atelier mit 83 Jahren

Aus Protest gegen das Kulturgutschutzgesetz – es soll die Abwanderung von bedeutenden Kulturgütern ins Ausland verhindern – ließ Baselitz 2015 seine Dauerleihgaben in bekannten deutschen Museen abhängen, etwa in der Pinakothek München und dem Dresdner Albertinum.

2018 präsentierten die Staatliche Kunstsammlungen Dresden (SKD) eine Grafik-Werkschau zum 80. Geburtstag von Baselitz. Etwa 80 seiner Arbeiten wurden Grafiken deutscher, italienischer und niederländischer Altmeister des 16. Jahrhunderts gegenübergestellt. Baselitz war begeistert: „Ich habe eine Sache noch nie so schön vor mir hängen sehen, also muss es wertvoll sein.“

Mit 83 Jahren hat sich der berühmte Maler noch ein neues Atelier in Salzburg eingerichtet. Über den Antrieb für seine Kunst sagte er: „Am Ende wollte ich aus diesem Grau rauskommen.“