Kommunalpolitiker in Großstädten klagen über Anfeindungen

Mehr als die Hälfte der Kommunalpolitiker in deutschen Großstädten erlebt laut einer Studie Anfeindungen und Aggressionen. Knapp fünf Prozent dachten demnach bereits über einen Rückzug nach.

Viele lokale Politiker haben schon die angedrohte Faust gesehen (Symbolbild)
Viele lokale Politiker haben schon die angedrohte Faust gesehen (Symbolbild)Imago / Panthermedia

Berlin. In deutschen Großstädten erleben rund 60 Prozent der Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker einer neuen Studie zufolge bei der Ausübung ihres Amts Anfeindungen und Aggressionen. Knapp fünf Prozent der Befragten habe deshalb bereits an Rückzug gedacht, sagte der Politikwissenschaftler Andreas Blätte von der Universität Duisburg-Essen bei der Online-Vorstellung der Umfrage. Mandatsträger aus niedrigen Gesellschaftsschichten werden demnach häufiger körperlich bedrängt oder angegriffen als solche aus der Mittel- und Oberschicht.

Die meisten Anfeindungen und Aggressionen mit 47,6 Prozent gibt es laut Umfrage bei persönlichen Begegnungen. Auf die sozialen Netzwerke und Briefe entfallen demnach je 44,7 und 41 Prozent. Bei 10,8 Prozent der Fälle handelte es sich um Sachbeschädigung und bei 9,6 Prozent um Angriffe.

Dresden und Erfurt traurige Spitzenreiter

„Dass über die Hälfte von ihnen schon Anfeindungen und Aggressionen erlebt haben, ist in unserer demokratischen Gesellschaft auf keinen Fall zu akzeptieren“, erklärte der Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, Jan Philipp Albrecht. Die parteinahe Stiftung der Grünen hatte die Studie in Auftrag gegeben. Unter den zehn Städten mit den meisten Fällen von Anfeindungen und Aggressionen seien Dresden und Erfurt, hieß es. Die übrigen acht Städte liegen den Angaben zufolge in Westdeutschland.

Wer an Rückzug denkt

Besonders alarmierend sei die Tatsache, dass sich ein Drittel aller Befragten zu bestimmten Themen seltener äußere als früher, sagte Studien-Mitautor Blätte. Überproportional stark dächten Frauen, politisch Engagierte mit Migrationshintergrund und Personen, die sich eher der unteren sozialen Schicht zuordnen, über einen Rückzug nach. Vor dem Hintergrund, wie schwer es mittlerweile geworden sei, Menschen für demokratische Ämter auf kommunaler Ebene zu motivieren, sei dieser Befund „ein ernstzunehmendes Hindernis“.

Blätte forderte mit Blick auf die Studienergebnisse eine Stärkung der Schutzstrukturen. Diese müssten auf lokal unterschiedliche Situationen abgestimmt sein. Für Fälle sexualisierter Gewalt gegenüber Frauen etwa in Form von Vergewaltigungsandrohungen seien andere Unterstützungsangebote als bei zerstochenen Reifen erforderlich: „Man braucht Strafverfolgungsbehörden, die gut genug ausgestattet sind, um Anzeigen nachzugehen“, mahnte der Politikwissenschaftler der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen.

Befragung via Internet

In der Umfrage berichteten laut Blätte Mitglieder der AfD von einer überdurchschnittlichen Betroffenheit. Der Politikwissenschaftler konstatierte in diesem Zusammenhang eine mangelnde Toleranz gegenüber AfD-Politikern. Deren Bedrohungserfahrungen würden die Frage aufwerfen, „ob in einem demokratischen Rechtsstaat Intolerante zu tolerieren sind“.

Für die Studie „Vielfältige Repräsentation unter Druck: Anfeindungen und Aggressionen in der Kommunalpolitik“ wurden den Angaben zufolge 6.412 Amts- und Mandatsträgerinnen und -träger in 77 Großstädten via Online-Befragung kontaktiert. 2.166 Personen füllten den Angaben zufolge den Fragebogen zwischen April und August 2022 vollständig aus. Themen seien Erfahrungen mit Bedrohungslagen und der Umgang damit gewesen.