Kirsten Fehrs: Die Krisenmanagerin

Die evangelische Kirche Deutschlands ist weiblicher als zuvor. Kirsten Fehrs hat den Wandel miterlebt. Sie trat in die Fußstapfen von Deutschlands erster Bischöfin und ist amtierende Ratsvorsitzende.

Kirsten Fehrs ist Bischöfin in Hamburg und Lübeck und seit November die amtierende Ratsvorsitzende der EKD. Die Rolle der Frau in der Evangelischen Kirche habe sich stark geändert, erklärt sie. Es ist aber auch noch eine Menge zu tun
Kirsten Fehrs ist Bischöfin in Hamburg und Lübeck und seit November die amtierende Ratsvorsitzende der EKD. Die Rolle der Frau in der Evangelischen Kirche habe sich stark geändert, erklärt sie. Es ist aber auch noch eine Menge zu tunepd-bild

Seit dem 20. November steht sie an der Spitze der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD): Kirsten Fehrs. Die Hamburger Bischöfin übernahm nach dem Rücktritt von Annette Kurschus den Ratsvorsitz und steht der EKD nun bis zu den Neuwahlen im November vor. Der Rücktritt von Kurschus nach Vorwürfen, sie habe von Missbrauchsfällen gewusst, die Veröffentlichung der Forum-Studie im Januar, die das Selbstverständnis der Evangelischen Kirche ins Wanken brachte – es ist eine Krisensituation, in der Kirsten Fehrs, das Amt übernommen hat. Wieder einmal.

So war es schon, als sie im November 2011 das Bischofsamt im Sprengel Hamburg und Lübeck der damals noch Nordelbischen Kirche übernahm. Auch damals war ein Rücktritt vorangegangen, nämlich der von Deutschlands erster Bischöfin Maria Jepsen. Auch damals ging es um das Thema Missbrauch.

„Das Thema sexualisierte Gewalt war von Anfang an mein Thema im Bischofsamt“, sagt die 62-Jährige. Im Fokus habe bei ihr immer die Frage gestanden, „wie wir Aufarbeitungs- und Anerkennungsverfahren bestmöglich auflegen und entwickeln können. Wir haben es mit schwer verletzten Menschen zu tun, die ein Recht auf einen würdigen Umgang haben und darauf, gehört zu werden.“

Fehrs hat die Möglichkeiten genutzt, die sich für sie ergeben haben

Für Kirsten Fehrs war es keine einfache Entscheidung, ob sie für Maria Jepsens Nachfolge kandidieren sollte. Es gab eine 16 Monate lange Vakanz. „Das war ja nicht ohne Grund so“, sagt sie. Doch sie entschied sich und wurde am 17. Juni 2011 von der Synode der Nord­elbischen Kirche gewählt. Es war wohl ihre mutigste Entscheidung, sagt Kirsten Fehrs rückblickend. Dabei habe sie sehr wohl eine „ganze Menge Risikobereitschaft“.

Das hat Kirsten Fehrs immer wieder bewiesen, mutig die Möglichkeiten genutzt, die sich in der Kirche für sie ergeben haben. Vikariat, erste Pfarrstelle, Projektpfarrstellen, Leiterin des Bildungswerkes im Kirchenkreis Rendsburg, Lehrauftrag, 2006 dann Pröpstin und Hauptpastorin an St. Jacobi in Hamburg, bevor sie 2011 Bischöfin wurde. Im November 2015 wurde sie Mitglied im Rat der EKD, 2021 zur stellvertretenden Ratsvorsitzenden.

„Das waren alles keine geplanten Schritte. Vielmehr habe ich Gestaltungsmöglichkeiten angenommen. Es geht ja immer um die Frage, ob man sich dem gerade aussetzen möchte. Denn zu neuen Ufern aufzubrechen, das bedeutet auch, Vertrautes zurückzulassen und in Kauf zu nehmen, dass man nicht weiß, wie es sich entwickelt.“

Fehrs: Die Landeskirchen zusammenzuhalten ist eine Herausforderung

Das gilt auch für das Amt der Ratsvorsitzenden, denn das ist schon eine Herausforderung. „Es bringt als ein Ehrenamt eine Fülle von Aufgaben mit – zu den ja ohnehin schon vielen Aufgaben als Bischöfin. Man ist öffentlich in der ersten Reihe und übernimmt Verantwortung für eine evangelische Kirche, die ja ein Verbund aus 20 sehr unterschiedlichen Landeskirchen ist.“ Die Landeskirchen in ihrer Dynamik zusammenzuhalten ist eine Herausforderung, besonders im Moment. „Weil wir eben in einer Krisensituation sind, die sich keiner so ausgesucht hat.“

Die evangelische Kirche sei auf Diskussionen und unterschiedliche Meinungen angelegt. Macht zeige sich eher in der Form von Gestaltungskraft. Das sei im Grunde produktiv, könne aber auch zu Endlosschleifen führen und Entscheidungen zu lange hinauszögern. „Da würde ich für mich beanspruchen, dass ich eine gewisse Klarheit habe oder eine Intuition, wann eine Entscheidung dran ist und wann der Diskurs weitergeht“, sagt Fehrs bestimmt.

Ein Viertel der deutschen Landeskirchen sind von Frauen geleitet

Von 20 Leitenden Geistlichen in der EKD sind nur fünf Frauen. Fehrs sieht es lieber so: „Ein Viertel der Landeskirchen sind von Frauen geleitet. Und in der Nordkirche sind es sogar Dreiviertel. Das muss man auch mal erwähnen.“ Ja, Frauen seien in den Leitungsebenen nach wie vor unterrepräsentiert. Das erlebe sie auch in der mittleren Ebene, dem Pröpstinnenamt zum Beispiel.

Allerdings sei es auch schwierig, Frauen dafür anzuwerben. „Aus meiner Sicht liegt das auch daran, dass Leitungspositionen mit einem hohen Arbeitsaufwand zu tun haben, da hat man das Gefühl, die Arbeit vor alles andere stellen zu müssen. Und das strahlt für viele Frauen überhaupt keine Attraktivität aus.“ Es sei kein Wunder, dass viele Frauen in solchen Leitungsämtern keine Kinder haben. So sei es bei ihr und auch bei vielen in ihrer Generation. Fehrs stellt aber auch klar: „Es ist gut und richtig, dass sich das ändert! Familie und Leitungsverantwortung muss zusammenpassen und dahin entwickelt es sich auch.“

 

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Die evangelische Kirche sei heute sehr viel weiblicher als früher. Ihr Vikariatskurs 1988 sei der allererste gewesen, der paritätisch mit Frauen und Männern besetzt war, erinnert sich Kirsten Fehrs. „Heute sieht es ganz anders aus. Bei den Ordinationen habe ich viele Pastorinnen vor mir, deutlich mehr als Männer. Der Anteil an Pastorinnen beträgt deutschlandweit heute über 40 Prozent. In der EKD-Synode haben wir 50,8 Prozent Frauen, im Rat 43. Das ist ein Erfolg.“

Fortschritte, aber auch Rückschläge für Frauen im kirchlichen Dienst

Für die 62-Jährige ist ganz klar, wie viel „Power“ bei den vielen jungen Frauen sitzt. „Wir haben eine junge Generation, die ist weiblich, die ist divers, zupackend. Da ist ein ganz anderer Drive wirksam.“ Die Geschlechtergerechtigkeit werde heute sehr viel natürlicher und selbstverständlicher gelebt.

Man dürfe bei allen Erfolgen und Errungenschaften aber nicht vergessen, dass es auch Rückschritte gebe. „Dass wir 2016 in der lettischen Kirche erleben mussten, dass die Frauenordination wieder abgeschafft wurde, das war ein ganz bitterer Rückschlag. Und dann gibt es eben auch noch lutherische Kirchen, die die Frauenordination bis heute nicht vollzogen haben.“

Wenn sie etwas ändern könnte an der evangelischen Kirche in Bezug auf die Rolle von Frauen, dann dass die Situation von Frauen, auch von jüngeren Frauen noch mehr in den Blick genommen wird. Es brauche eine viel größere Selbstverständlichkeit, dass Frauen auch in Leitungspositionen Kinder haben. „Man muss so ein Amt auch mit Familie ausführen können.“

Stereotypen sind noch vorhanden

So zu tun, als wären Frauen schon gleichberechtigt, als gäbe es keine Stereotypen, sei falsch. Es gäbe sie nun mal, bei jedem. Da helfe es nur, genau hinzugucken. Anders behandelt fühle sie sich aber nicht. „Ich habe immer erlebt, dass mir Respekt im Leitungsamt entgegengebracht wird. Wie ich mich selbst dabei aber fühle, das ist etwas ganz anderes.“ Frauen neigten häufiger dazu, sich selbst zu hinterfragen oder anzuzweifeln, da müsse man eben auch an seinen eigenen Stereotypen arbeiten.

Und schließlich sei es bei aller Gleichberechtigung so, dass es nun mal unterschiedliche Formen von Weltwahrnehmung, von Lebenswahrnehmung gebe. Herangehensweisen unterscheiden sich. Nicht besser oder schlechter, aber anders. „Ich denke, dass Frauen häufig stärker hinhören und noch mehr im Beziehungsgeflecht von Vernetzung arbeiten.“ Eine eher auf eine Teamsituation bezogene und gemeinsam gestaltende Struktur würde sie eher bei Frauen entdecken.

„Ich selbst bin in den 1960er Jahren aufgewachsen, als es noch das klassische Rollenbild von Mann und Frau gab. Und da bleibt es eine Herausforderung, nicht in Stereotypen zu denken, selbst wenn man ein hohes Bewusstsein dafür hat“, betont Fehrs. Es gehe darum, sich diese Dinge bewusst zu machen. Mit Frauen im Leitungsamt habe sich in der Kirche ein solches Bewusstsein entwickelt, es habe die Kirche verändert, und das sei auch gut so.