Kirchlicher Umgang mit der „Letzten Generation“

Besonders in Kirchengemeinden des Kirchenkreises Berlin-Stadtmitte sind Aktivisten der „Letzten Generation“ willkommen. Ein Stadtspaziergang eines Kritikers.

Carla Hinrichs ist Sprecherin der „Letzten Generation“
Carla Hinrichs ist Sprecherin der „Letzten Generation“Stefan Müller (climate stuff), CC BY-SA 2.0/via Wikimedia

In der Kirche frühstücken und dann auf die Straße kleben? So passierte es am 20. April in Berlin. Dass die St.-Thomas-Kirche in Berlin-Kreuzberg ­ihre Räume zu gemeinsamem Frühstück und Gebet für Klimaaktivisten und Interessierte öffnete, rief auch Kritik hervor. Auch die Gethsemanekirche in Prenzlauer Berg lud ­unter dem Motto „Lasst uns reden“ Menschen zu Gesprächen über den Klimawandel ein, aber auch zum Beten und Schweigen. „Die Kirche“ war dabei und hat sich umgehört.

Die junge Frau in der ersten Bankreihe fasste schließlich Mut. In ­einer Fürbitte richtete sie sich, dem Altar zugewandt, direkt an Gott, bat ihn darum, mehr Christinnen und Christen zu ermuntern, sich an Protesten zu beteiligen und ein ­Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass unser „Planet kaputt geht“. „Ich frage mich, warum so viele Atheisten dabei sind. Wo bleiben die Christen? Warum gehen sie nicht auf die Straße?“ (Lesen Sie hier: Theologe wirft Kirche substanzlose Haltung zur Letzten Generation vor)

Warnwesten und ernste Gesichter

Zu hören war das Gebet der Frau am Freitagnachmittag vergangener Woche in der Gethsemane-Kirche in Berlin-Prenzlauer Berg. Dort findet jeden Abend eine politische Andacht statt, die in diesen späten Nachmittagsstunden im ­Zeichen der Klimaschutz-Initiative „Letzte Generation“ stand. Acht oder zehn Aktivisten hatten sich eingefunden, einige waren an Warnwesten und ernsten Gesichtern zu erkennen. Zuvor waren sie schon zu einer Kennenlernstunde gekommen, die wenig besucht war.

Eine Aktivistin ging später zur Kanzel und bedankte sich dafür, hier sprechen zu dürfen. Sie beklagte den Zustand unseres Planeten und die Untätigkeit der „Regierungen“, bevor sie auf den Stillstand zu sprechen kam, den die „Letzte Generation“ über Berlin bringen wolle. Die Rede war auch von der Supermacht der Reichen – vielleicht der Hinweis auf eine Farb­aktion am folgenden Tag, als Vitrinen am Berliner Kurfürstendamm mit Farbe besprüht wurden, die für teure Markenartikel werben. Die ­öffentliche Resonanz war beträchtlich.

Mit einem Minimum an Aufwand ein Maximum an Aufmerksamkeit zu bekommen – in dieser Kunst­fertigkeit macht der „Letzten Generation“ niemand etwas vor. Ihr ­Aktivismus, wie er sich in Medien­berichten und „Social-Media“-­Beiträgen niederschlägt, korrespondiert aber kaum mit der Zahl der Aktivisten. Nur 150 hatten sich am vergangenen Freitag­nachmittag zusammengefunden, um den Berliner Verkehrsfluss zu unterbrechen und vor dem Klimawandel zu warnen. Dazu intonisierten sie eine etwas holprige Hymne auf „die Wissenschaft“, was zum Kommentar eines Twitter-Users führte: „Jetzt singen sie auch noch!“

Keiner diskutierte mit

Später, am Abend des Freitags, ­hatte die „Letzte Generation“ zu einer Vortragsveranstaltung in die Klosterstraße 66 eingeladen, genauer: in das Evangelische Kirchen­forum, das zum Kirchenkreis Berlin Stadtmitte gehört. Der Georgensaal war für eine Hundertschaft an ­Zuhörern ansehnlich hergerichtet worden – eingefunden hatte sich keine einzige Bürgerin und kein Bürger, abgesehen vom Reporter.

Die drei Aktivisten, die vor dem Zentrum auf interessierte Berliner warteten, hätten gerne über das Thema „Bürgerrat“ gesprochen, wie sie dem Reporter verrieten.

Demokratie in Frage gestellt?

Dieses brisante Thema propagiert die „Letzte Generation“: Zufällig nach Alter, Geschlecht, Wohnort, Bildungsstand und Migrationshintergrund ausgeloste Gremien diskutieren dabei über mögliche Maß­nahmen zum Umgang mit der Klimakrise. Sie sollen demokratisch gewählte Parlamente ergänzen. Könnte das in der Praxis die Basis unseres Gemeinwesens, eine parlamentarische, repräsentative Demokratie in Frage stellen – im Namen einer höheren Klimavernunft? ­ Mit Einschränkungen räumten dies die Aktivisten vor dem leeren Georgensaal ein.

In diesen Tagen lädt der „Evangelische Kirchenkreis Berlin Stadtmitte“ Aktivisten, Kritiker und Freunde der „Letzten Generation“ zu Begegnungen ein. Andere Kirchen und Kirchenkreise in Berlin haben sich bisher (noch) nicht beteiligt. Etwas rätselhaft heißt es auf der Facebookseite der St.-Thomas-Kirche: „Über Entscheidungen ­bezüglich Raumvermietungen von Organisationen, welche innerhalb des Evangelischen Kirchenkreises Berlin-Stadtmitte getroffen werden, haben wir, die Gemeindemitglieder, keinen Einfluss.“

Dialog gegen Radikalisierung

An diesem Mittwoch, 26. April, ab 9 Uhr soll wieder zu einem Frühstück in die St. Thomas-Kirche
in Berlin-Kreuzberg eingeladen ­werden, um Passanten und Sympathisanten ins Gespräch zu bringen (Veranstaltung nach Redaktionsschluss). Der Kirche sei das Gespräch mit den ­Aktivisten wichtig, sagte Bertold Höcker, ­Superintendent des Kirchenkreises Berlin Stadtmitte, den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland: „Deswegen öffnen wir unsere Räume“, erklärte Höcker. „Wir versuchen damit, ­Radikalisierung zu verhindern.“

Veranstaltungen in dieser Woche:
„Lasst uns reden. Kirche offen für ­Klimafragen“: Täglich bis Sonntag, 30. April, von 17 bis 19 Uhr in der Gethsemanekirche, Berlin-Prenzlauer Berg, Stargader Straße. Mit dabei sind die Pfarrerinnen Almut Bellmann und Aljona Hofmann.
ekpn.de/vier-kirchen/gethsemane/

Am 26. April und 3. Mai, ab 9 Uhr, kommen Klimaaktivist*innen in St. Thomas zu einem Frühstück, Vorträgen und Beratungen über Protestaktionen zusammen. Dazu lädt der ­Gemeindekirchenrat ein. evkgk.de