Kampf um den Platz an der Sonne
Bismarck hatte sich lange gegen deutsche Kolonien gewehrt. Doch auf der Berliner Kongo-Konferenz sorgte er dafür, dass das Reich mithalten konnte. Deutschland war um 1900 flächenmäßig die drittgrößte Kolonialmacht.
Afrikaner waren nicht geladen. Und das, obwohl es um ihren Kontinent ging. Am 15. November 1884, am Freitag vor 140 Jahren, begann im Berliner Reichskanzlerpalais die sogenannte “Kongo-Konferenz”.
Den Tagungsort beherrschte quasi bis zum Ende der Verhandlungen am 26. Februar 1885 eine fünf Meter hohe Wandkarte des afrikanischen Kontinents. Unter ihr versammelten sich die Vertreter von 13 europäischen Staaten sowie der USA und des Osmanischen Reiches auf Einladung von Reichskanzler Otto von Bismarck, um über das Schicksal Afrikas zu beraten.
Die Konferenz löste einen beispiellosen Wettlauf um die noch nicht besetzten Gebiete aus. Innerhalb weniger Jahre waren mehr als 90 Prozent Afrikas unter den europäischen Mächten aufgeteilt – bis auf Äthiopien und Liberia. Mehr als 100 Millionen Afrikaner gelangten unter europäische Herrschaft. Auch Deutschland sicherte sich seinen “Platz an der Sonne”. Das Reich war um 1900 flächenmäßig die drittgrößte Kolonialmacht.
Ziel Bismarcks war es vor allem, Konflikte zwischen den Europäern friedlich zu regeln. Dass der Kanzler als Vermittler und Berlin als Konferenz-Standort akzeptiert wurden, war ein großer Erfolg, bedeutete es doch die Anerkennung der deutschen Kolonialerwerbungen.
Konkret ging es in Berlin darum, zumindest das riesige Zentrum Afrikas – das Kongobecken – nicht aufzuteilen, sondern als eine Art Freihandelszone für alle zu sichern. Freie Schifffahrt auf den großen Flüssen und Missionsfreiheit gehörten ebenfalls zu den Zielen. Deshalb wurde die riesige Region der privaten Kongo-Gesellschaft des belgischen Königs Leopold II. überlassen. Diese Lösung scheiterte jedoch vollständig: Leopolds Herrschaft nahm mit der Ermordung hunderttausender Afrikaner derartig skandalöse Formen an, dass Belgien den König 1908 enteignete.
Direkter Auslöser für den vielzitierten Wettlauf um Afrika war das auf der Konferenz verabschiedete Regelwerk. Es besagte, dass es fortan nicht mehr genügen sollte, an der Küste einige Flaggen zu hissen, sondern dass auch im Hinterland Elemente einer sichtbaren Herrschaft errichtet sein müssten, etwa Militär- oder Polizeistationen. Das führte dazu, dass Besitzstände neu abgegrenzt und Grenzen mit dem Lineal gezogen wurden – ohne Rücksicht auf die Lebensräume afrikanischer Völker.
Von den hehren Zielen der Konferenz, die sittliche und materielle Wohlfahrt der Einheimischen zu fördern, blieb wenig übrig. Menschenraub, Zwangsarbeit, Folter, Vergewaltigung und Völkermord blieben an der Tagesordnung – auch in den vom Deutschen Reich beherrschten Gebieten des heutigen Namibia, Togo, Kamerun, Tansania, Burundi und Ruanda.
Die deutsche Anwesenheit in Afrika blieb aber letztlich nur eine vergleichbar kurze Episode. Mit dem Versailler Vertrag 1919 verlor das Reich nach nur drei Jahrzehnten alle seine Kolonien. Deutsche Historiker und die Öffentlichkeit haben daraus lange den Schluss gezogen, dass der deutsche Kolonialismus vergleichsweise sauber und harmlos gewesen sei. Zudem überlagerten die Verbrechen der Nationalsozialisten und der Holocaust das Nachdenken über die deutsche Kolonialgeschichte und hartnäckige, rassistische Denkgewohnheiten, die noch lange in den Köpfen steckten.
“Viel zu lange war die Kolonialzeit ein blinder Fleck in der deutschen Erinnerungskultur”, räumte 2018 die damalige Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) ein. Das ändert sich: Treiber der Debatte sind nicht zuletzt die Auseinandersetzungen zwischen deutschen und namibischen Politikern über den Völkermord deutscher Kolonialtruppen an den Herero und Nama in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika.
Auch die Diskussion um die Rückgabe von Kulturgütern aus deutschen Museen zeigt, dass die Kolonialgeschichte noch nicht vergangen ist. Bis heute lagert zum Beispiel weltweit der größte Bestand aus dem Kulturerbe Kameruns in öffentlichen Museen der Bundesrepublik.
Zahlreiche deutsche Städte befassen sich unterdessen mit ihrem kolonialen Erbe: In Hamburg etwa, dessen Hafen ein Knotenpunkt des deutschen Kolonialismus war, arbeitet seit 2014 eine Forschungsstelle an diesem Thema. Als Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) im Februar den Entwurf eines Planes vorlegte, um die koloniale Epoche im öffentlichen Bewusstsein stärker zu verankern, sorgte das für einen Eklat. Kritiker befürchten, der Kolonialismus könnte den Holocaust aus dem Zentrum der deutschen Erinnerung verdrängen.