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Jurist sieht Strafbarkeit der Regierung – “Haltet Versprechen”

Ein Gutachten ist für Außenminister und Innenminister brisant: Die Regierung mache sich strafbar, wenn sie gefährdete Afghanen im Stich lässt, die in Pakistan auf ihre Ausreise warten. 2.351 Menschen seien betroffen.

Die Bundesregierung ist einem neuen Rechtsgutachten zufolge an Aufnahmezusagen für besonders gefährdete Afghanen gebunden. Regierungsmitglieder machten sich strafbar, wenn sie im Nachbarland Pakistan auf ihre Ausreise nach Deutschland wartenden Afghanen ihrem Schicksal überließen, heißt es in dem am Dienstag veröffentlichten Gutachten des Strafverteidigers Robert Brockhaus. Im konkreten Fall geht es um 2.351 Männer, Frauen und Kinder, die eine Aufnahmezusage erhalten haben und denen nun eine Abschiebung von Pakistan nach Afghanistan droht.

Eine mögliche Strafanzeige könne sich gegen Außenminister Johann Wadephul (CDU), Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) sowie darüber hinaus gegen Beamte der Bundesregierung richten, die mit den Aufnahmezusagen befasst seien, sagte Brockhaus vor Journalisten in Frankfurt. “Vorzuwerfen wäre Regierungsmitgliedern, dass sie die Abschiebungen, durch die die Menschen voraussichtlich in die Gefahr des Todes oder schwerer Gesundheitsschädigungen geraten, nicht verhindert haben, obwohl ihnen das möglich war”, so der Jurist.

Besonders gefährdeten Afghanen drohten in Afghanistan unter den Taliban “schwerste Menschenrechtsverletzungen – von Folter und Misshandlungen bis zu sexualisierter Gewalt und Tötungen”.

Laut der Menschenrechtsorganisationen Pro Asyl geht es unter anderem um ehemalige Ortskräfte der deutschen Ministerien, Menschenrechtsaktivisten, Journalisten, die sich in Afghanistan für Demokratie und Frauenrechte eingesetzt haben, sowie Angehörige vulnerabler Gruppen wie sexueller Minderheiten. Brockhaus sagte, die Bundesregierung sei rechtlich “aufgrund ihrer Garantenstellung verpflichtet, Schaden von diesen Menschen abzuwenden”.

Pro Asyl kritisierte, dass die neue Bundesregierung im Koalitionsvertrag angekündigt habe, die Aufnahmeprogramme “soweit wie möglich zu beenden”. Seitdem befinde sich die Bundesregierung “in einer fortgesetzten Prüfung” und habe alle Einreisen von Personen mit Aufnahmezusage ausgesetzt.

“Fast vier Jahre nach der Machtübernahme der Taliban ist die aktuelle Bundesregierung kurz davor, Afghaninnen und Afghanen mit bereits erfolgter Aufnahmezusage im Stich zu lassen, obwohl ihnen in Pakistan akut die Abschiebung nach Afghanistan und dort Folter, Misshandlung oder der Tod drohen”, kritisierte Pro Asyl. Das von Pro Asyl und dem Patenschaftsnetzwerk Ortskräfte in Auftrag gegebene 61-seitige Gutachten zeige, dass dies strafbar sei.

Laut Anwalt Brockhaus kommt eine Strafbarkeit deutscher Regierungsvertreter wegen “Aussetzung” von Menschen in eine hilflose Lage (§ 221 StGB) oder wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 323c StGB) in Betracht.

Lena Reiner vom Netzwerk Ortskräfte sagte: “Was wir in den letzten Wochen aus Pakistan hören, ist die pure Verzweiflung.” Menschen hätten im Vertrauen auf die Zusage aus Deutschland “alles hinter sich gelassen, als sie gebeten wurden, für das Visumverfahren nach Pakistan zu gehen”. Nun drohe ihnen nach Monaten, teils Jahren des Wartens der Abbruch ihrer Aufnahmeverfahren. “Alle, mit denen wir in Kontakt sind, fürchten um ihr Leben”, betonte Reiner.

Eine Afghanin, die laut Pro Asyl eine Aufnahmezusage nach Deutschland hat und deren Name bewusst nicht genannt wird, wird mit den Worten zitiert: “Ich bitte das deutsche Volk inständig: Lasst die Menschlichkeit nicht sterben. Vergesst uns nicht – diejenigen, die bereits eine Aufnahmezusage erhalten haben. Haltet eure Versprechen. Wenn ihr uns jetzt aufgebt, bedeutet das unseren Tod.”

Dass Aufnahmezusagen des Bundesaufnahmeprogramms für Afghanistan weiter gültig sind, hat auch das Berliner Verwaltungsgericht in einem Eilverfahren entschieden. Das Gericht teilte am Dienstag mit, die Bundesrepublik müsse einer afghanischen Familie, die 2023 solch eine Zusage erhalten hatte, Visa zur Einreise nach Deutschland erteilen. Deutschland sei “durch bestandskräftige, nicht widerrufene Aufnahmezusagen rechtlich gebunden”.