Junge Menschen psychisch belastet – Mehr Therapieplätze gefragt

Mehr Psychotherapie-Plätze für junge Menschen und mehr Aufklärung über psychische Erkrankungen mahnen Fachleute an. 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen seien von psychischen Auffälligkeiten betroffen, sagte die Medizinerin Katharina Bühren am Montag in Berlin. Während der Corona-Pandemie hätten Angst- und Essstörungen ebenso zugenommen wie Suchterkrankungen.

Zugleich sei die Versorgungslage regional sehr unterschiedlich, sagte Bühren, die Vorstandsmitglied der Stiftung Kindergesundheit ist. Auf einen Therapieplatz warteten Betroffene zwischen sechs und 18 Monaten. Dies sei für junge Menschen „eine sehr lange Zeit“, kritisierte die Vorstandsvorsitzende von SOS Kinderdorf, Sabina Schutter. Belastungen könnten in diesem Zeitraum chronisch werden.

Notwendig sei ein selbstbestimmtes Recht auf Therapie, erklärte Schutter. Viele junge Menschen mit entsprechendem Bedarf kämen aus Familien, in denen die Eltern selbst Probleme hätten. Bühren forderte, auch Schulen oder Jugendhilfeeinrichtungen einzubeziehen. „Die ganze Gesellschaft muss sich an die Nase fassen. Wir haben während der Pandemie vieles auf dem Rücken von Kindern und Jugendlichen ausgetragen – jetzt müssen wir ihnen etwas zurückgeben.“

Wenn junge Menschen an Kliniken kämen, hätten sie häufig bereits „eine wahre Odyssee“ hinter sich, mahnte Bühren. Erkrankungen würden vielfach zu spät erkannt oder als jugendliche Befindlichkeit abgetan. Es brauche mehr vorbeugende Maßnahmen. Schutter verwies beispielhaft auf das Projekt „I Support My Friends“, eine Art psychologisches Erste-Hilfe-Programm von Hilfsorganisationen. Darin sollen junge Menschen lernen, Warnzeichen zu erkennen und ihre Freunde anzusprechen, wenn diese in einer belastenden Situation seien.

Zuvor hatte die Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention gefordert, dass Suchterkrankungen und Depression im Schulunterricht behandelt werden sollten. Depression gehöre zu den häufigsten psychischen Erkrankungen bei Jugendlichen, erklärte die Stiftung in Leipzig. Etwa sechs Prozent aller jungen Menschen erkrankten daran, also im Schnitt etwa ein bis zwei Schülerinnen oder Schüler pro Klasse. Zudem komme fast jeder Mensch im Lauf seines Lebens mit diesem Thema in Berührung.

Schutter forderte darüber hinaus eine Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen. Grundsätzlich müsse die Resilienz junger Menschen gestärkt werden, ergänzte Bühren. „Neben der körperlichen Gesundheit geht es auch darum, ihnen Maßnahmen an die Hand zu geben, wie sie auf sich achten können, damit sie seelisch ausgeglichen sind und für Krisen gewappnet sind.“

Am Abend übergibt der Kinder- und Jugendrat von SOS Kinderdorf eine Petition an Bundestagsabgeordnete. Die jungen Menschen fordern darin mehr Psychotherapie-Plätze und eine Reform der Bedarfsplanung. Die langen Wartezeiten verletzten das Kinderrecht auf Gesundheit, wie es hieß. Die Ampelkoalition habe zwar eine Verbesserung in Aussicht gestellt, konkret sei diese aber noch nicht in Sicht.