Inklusiver „Run of Spirit“ in Berlin

Das Johannesstift in Berlin-Spandau lädt am Pfingstmontag zu einem Lauf für Menschen mit und ohne Behinderung ein. Der Rollstuhlfahrer Albin Becic ist dabei.

Alban Becic ist Fußballfan und Teilnehmer beim „Run of Spirit“
Alban Becic ist Fußballfan und Teilnehmer beim „Run of Spirit“Uli Schulte Döinghaus

Wenn er am Pfingstmontag das Startsignal hört, dann geht es Albin Becic (45) nicht um Minuten und Sekunden. Schon gar nicht um schneller, schneller, schneller. Sondern darum, dass sein Sport Gemeinschaft stiftet, Kommunikation und Teamgeist.

Aus eigener Körperkraft kann er nicht viel an klassischer Sportlichkeit erreichen, seine starken Lähmungen hindern ihn daran und machen ihn von der Technik in seinem Rollstuhl abhängig. Becic will am Start und im Ziel jubeln, dazu braucht es nicht unbedingt Muskelkraft. Und er will seine Freundin anfeuern, die als Läuferin am „Run of Spirit“ teilnehmen wird. Es kann durchaus sein, dass beide in schwarz-gelb gemusterten Trikots antreten – man teilt die Liebe zum Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund und drückt seit Wochen die Daumen, dass es mit dem Meisterpokal endlich mal wieder klappt.

Einen Bogen um die Kirche machen

Mehr als 500 Läuferinnen und Läufer, teils behindert, teils nicht, haben sich für Montag, 29. Mai, beim Veranstalter Evangelisches Johannesstift in Berlin-Spandau angemeldet, um zu Pfingsten „einen Bogen um die Kirche zu machen“, wie es in der Einladung heißt. Die Strecke verläuft über das Stiftsgelände, den Kirchvorplatz und die Allee immer rund um die Stiftskirche, das Wahrzeichen der Einrichtung im Berliner Nordwesten.

Acht Laufwettbewerbe – für Kinder, Einzelwettkämpfer oder inklusive Teams von behinderten und nichtbehinderten Sportlern – wird das evangelische Gesundheits- und Sozialunternehmen Johannesstift dann ausrichten. Bis kurz vor dem Start sind noch Anmeldungen möglich. Die Laufstrecke kann je nach Laufdisziplin bis zu zehn Kilometern betragen.

„Ich bin sein Körper, und er ist mein Kopf.“

Becic und seine Freundin nehmen am „barrierearmen Lauf“ teil. Die Strecke ist beiden vertraut, Becic hat den „Run of Spirit“ schon mehrmals absolviert. Training? „Das ist wohl nicht nötig“. Becic zeigt auf Mechanik und Elektronik seines Rollstuhls. „Außerdem bin ich ziemlich faul“, lacht er. Seine Freundin und er bilden eine Gemeinschaft, über deren Arbeitsteilung sie, die in einer Wohngruppe des Johannesstifts lebt, sagt: „Ich bin sein Körper, und er ist mein Kopf.“

Gemeinschaft, Fairness und Sportsgeist sind Tugenden, die den Sport ausmachen. Sie prägen auch die Haltung von Albin Becic, wenn er über sein Leben nachdenkt. Im Teenageralter flüchtete er aus Sarajewo vor dem Grauen des Jugoslawienkriegs und blieb in Berlin. „Hier ist das Leben für Rollstuhlfahrer erträglicher“, sagt er. Seit fast 30 Jahren ist das Johannesstift sein Zuhause, „und seitdem bin ich eingefleischter Spandauer“.

Ob auf Rädern oder in Laufschuhen. Jeder kann teilnehmen
Ob auf Rädern oder in Laufschuhen. Jeder kann teilnehmenPromofoto: Frederic Schweizer

Sein geschliffenes und ausdrucksstarkes Deutsch hat er sich selbst und mit Hilfe einer längst verstorbenen Lehrerin erworben, „die mich geliebt hat wie einen Sohn und die mich triezte, wenn es um die Sprache ging“. Seitdem sei er der Überzeugung, dass die Sprache „das A und O der Integration ist für alle, die unabhängig und freiwillig in Deutschland leben möchten. Sonst funktioniert gar nichts“.

Nachdenklich und selbstkritisch

Lesen, Radiohören und Fernsehen falle ihm meist schwer, aber er denke viel nach, sagt Albin Becic, oft komme es dann zu Skepsis, Selbstzweifeln und Selbstkritik: Wie es sich für einen guten Sportsmann gehört, sucht er die Ursachen für persönliche Niederlagen und Rückschläge nicht bei anderen Menschen, immer zunächst bei sich selbst.

Auf dem weitläufigen Areal des Stifts lebt Becic selbstständig in einer Wohnung über einer Wohngemeinschaft. Das hat den Vorteil, dass im Bedarfsfall für ihn immer jemand schnell zu erreichen ist und – viel wichtiger – dass es eine Kommunikationsgemeinschaft gibt. Einsamkeit ist ihm ein Gräuel. Bewegt spricht er über die Zeit der Corona-Pandemie, als Kontakte eingeschränkt waren und die Arbeit in seiner Stephanus-Werkstatt für behinderte Menschen fast ganz zum Erliegen kam.

Ganz normal behinderte und ganz normal nicht behinderte Fußballfans

Jetzt wird er morgens wieder um 7 Uhr abgeholt und zusammen mit Kolleginnen und Kollegen zum Arbeitsplatz in der Nähe der Berliner Heerstraße gebracht. Verpackungsjobs. Er lebt von Grundsicherung und von dem bisschen Stundenlohn, den er in der Werkstatt verdienen kann: „Auch wenn er noch so mickrig ist – es ist Geld, das ich selbst verdient habe – und das ist mir sehr, sehr wichtig.“

Montags nach Feierabend trifft er sich als Fußballfan mit einer Gruppe von Gleichgesinnten. An den Samstagnachmittagen hockt man im Johannesstift Café, kurz JoCa, zusammen, um Liveübertragungen von Bundesligaspielen zu sehen. „Das ist der Ort“, sagt Becic, „wo sich ganz normale Behinderte mit ganz normalen Nichtbehinderten treffen, um ganz normale Fußballfans zu sein.“ Zu dieser Normalität gehört – wie in anderen Familien auch – dass die Wochenendwünsche der Freundin manchmal Vorrang haben. Dann ist Zeit für Spaziergänge, gemeinsames Einkaufen in Spandau, Konzerte oder Gespräche über Gott, die Welt, Borussia Dortmund oder die Chancen beim inklusiven „Run of Spirit“ am Pfingstmontag rund um die Stiftskirche.

Run of Spirit, 29. Mai, 9–15 Uhr, Johannesstift, Stiftsgelände, Kirchvorplatz und Allee, Schönwalder Allee 26, 13587 Berlin. Internet: www.run-of-spirit.de