Altes Handwerk, neuer Trend: In Prag lebt die Bäckerkunst auf

Ein Isländer und ein tschechischer Brotfan haben den Pragern die Kunst des Bäckerhandwerks schmackhaft gemacht: duftendes Brot und Zimtschnecken aus der eigenen Backstube. Die Suche nach dem perfekten Brot führte Antonin Kokes auch nach Deutschland.

Prag (epd). Die Revolution der tschechischen Bäckereien begann ausgerechnet auf dem Jakobsweg. Antonin Kokes war mit einem Freund unterwegs, zu Fuß von Prag aus bis nach Spanien, und suchte eigentlich nur ein bisschen Abstand von seinem Tagesgeschäft als Verleger. «Wir sind durch Bayern und die Schweiz gegangen und haben da überall in den kleinen Orten diese duftenden Bäckereien gesehen, dazu meistens ein kleines Café», erinnert sich Kokes an sein Aha-Erlebnis vor einigen Jahren: «So etwas gab es in Tschechien überhaupt nicht!»

   Handwerksbetriebe, die an Ort und Stelle ihr Brot backen, waren eine große Ausnahme. Die meisten Tschechen kaufen ihr Brot im Supermarkt, manche auch in den Filialen irgendeiner Großbäckerei. Kokes übergab seine Firma an einen externen Manager und machte sich auf die Suche nach dem perfekten Brot.

   «Ich bin durch etliche Bäckereien gefahren in Nürnberg, Regensburg – es war interessant, wie aufgeschlossen die waren: Kommen Sie rein, wir zeigen Ihnen das!» Mit mehr als 3.000 eingetragenen Brotsorten ist die deutsche Brotkultur immerhin 2014 ins bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes der Unesco aufgenommen worden.

   Später packte Kokes in Prag bei den eigenen Experimenten mit an, damit das Brot genauso wird, wie ich er es sich vorstellte. «Ein Bäcker bin ich natürlich nicht, aber ich wollte bei diesem Prozess mit dabei sein», sagt er im Rückblick.

   Und dann eröffnete er seine Bäckerei in einem angesagten Prager Viertel, sechs Jahre ist das jetzt her. «Antoninovo Pekarstvi» heißt sie, übersetzt: «Antonins Bäckerei». In einfachen Holztheken liegt die Ware aus, die Kunden können die Bäcker bei der Arbeit beobachten. Neben der Tür stehen einige Tische, damit man in Ruhe seinen Kaffee trinken kann, zumindest in Nicht-Pandemie-Zeiten.

   Freunde hätten versucht, ihm die Idee auszureden, sagt Kokes, aber er ließ sich nicht von ihr abbringen. «Und schon die ersten Tage zeigten, dass wir recht hatten: Die Leute standen Schlange, ganz am Anfang gab es sogar Wartenummern für das Brot, weil wir ohne Reservierung überhaupt nicht hinterhergekommen wären.»

   Kokes wurde damit zum Pionier einer Entwicklung, die danach erst richtig Fahrt aufnahm: Vor allem in Prag sind immer neue Bäckereien entstanden, vielen Kunden reicht das Supermarkt-Brot nicht mehr aus. Eine der Erfolgsgeschichten hat David Arnorsson geschrieben. Der Isländer war eigentlich nur für ein paar Tage in Prag zu Besuch, aber als leidenschaftlicher Bäcker staunte er über die Qualität des Weizenmehls: «Wir haben so ein Mehl nicht, bei uns in der Natur wächst so ein Getreide nicht. Ich bin jetzt seit fast 30 Jahren Bäcker – und hier kam ich mir vor wie im Märchenland.»

   Und so entschloss er sich, mit einem isländischen Freund zusammen eine Bäckerei in Prag aufzumachen – «Artic Bakehouse» nannten sie sie. «Ein Jahr lang haben wir alles vorbereitet hier im Ladenlokal, das meiste haben wir selbst gemacht, weil wir nur ein kleines Budget hatten.» Dunkel sind die Wände in der Bäckerei, aus den Lautsprechern klingt Musik; klein und freundlich sollte es sein.

   Inzwischen ist Arnorsson mit seiner Bäckerei so etwas wie eine lokale Berühmtheit. In normalen Zeiten stauen sich die Touristen vor seinem Geschäft, aus dem es sommers wie winters nach frischem Brot duftet; jetzt in der Corona-Zeit kommen noch mehr einheimische Prager.

   Sie stehen vor allem für die süßen isländischen Spezialitäten Schlange – für Zimtschnecken oder für frittierte Teigkugeln mit Rosinen, die Arnorsson «Love Balls» nennt, weil ihren isländischen Namen «Ástarpungar» in Prag niemand aussprechen könnte. «Am Anfang haben wir sie gebacken, damit die Leute einfach mal probieren können. Und inzwischen backe ich sie ständig in rauen Mengen. Das ist echtes
isländisches Traditionsgebäck.»

   Eigentlich, erzählt Arnorsson, habe er sich geschworen, die skandinavischen Rezepte nicht an den tschechischen Geschmack anzupassen, sondern sie unverfälscht anzubieten. «Aber dann habe ich mal als Scherz ein Brot gebacken, das wir 'Old Charles' genannt haben, in Anlehnung an die Karlsbrücke. Da habe ich Kümmel und ein bisschen Anis reingemischt, für mich ist das ein typisch tschechischer Geschmack. An einem Abend habe ich den Teig angesetzt, am nächsten Tag die Laibe in den Ofen geschoben – und es verkaufte sich wie verrückt. Das ist jetzt unser gefragtestes Brot. Und zugleich das einzige Rezept mit tschechischen Anklängen, der Rest ist von Skandinavien inspiriert.»

   Da ist zum Beispiel das dunkle Roggenbrot bestreut mit Haferflocken – viele Tschechen erinnere das an ihren Urlaub in Dänemark, erzählt Arnorsson schmunzelnd. Die Nachfrage nach gutem Brot ist groß. Nur eins, sagt Arnorsson dann, fehle ihm in Prag dann doch: «Ich vermisse isländische Butter. Ich würde sagen, sie gehört zu den besten auf der Welt.» Aber alles kann man eben einfach nicht haben.