Hooligans und Spitzel im Gästeblock

Die Fangesänge aus dem Gästeblock waren die reine Provokation: „Randalieren in der Mauerstadt, Unionfans hinter Stacheldraht. Die neue Macht in der DDR. Der RWE, der neue Herr.“ Ausgerechnet bei Dynamo Berlin, dem Lieblingsverein von Stasi-Chef Erich Mielke, skandierten Hunderte Fans des FC Rot-Weiß Erfurt diese Zeilen in Richtung Spielfeld. Dokumentiert ist dieser Vorfall in den Unterlagen der Erfurter Außenstelle des Stasi-Unterlagen-Archivs. Die Staatssicherheit schrieb jede Zeile mit.

Fußballfans seien in der DDR ebenso wie die Vereine selbst umfassend von der Staatssicherheit überwacht worden, sagt Oliver Parchwitz, Historiker in der Erfurter Behörde. Nicht nur die Schlachtrufe in den Stadien seien protokolliert worden. Auch seien unter den Anhängern der Fanclubs Inoffizielle Mitarbeiter (IM) angeworben worden. Neben der Informationsbeschaffung sollten die Spitzel versuchen, die Fanszene zu spalten.

Der 36-jährige Historiker hat Vorgänge aus den 1980er Jahren rund um den Oberliga-Verein FC Rot-Weiß Erfurt (RWE) ausgewertet. „Im Selbstverständnis der SED-Staatsführung durfte es sozialistisch erzogene Menschen, die grölend und Flaschen werfend durch die Innenstädte gelaufen sind, nicht geben“, sagt Parchwitz zur Motivation der systematischen Überwachung.

Tatsächlich habe sich die Fankultur in der DDR stark an die Strukturen angelehnt, wie sie in den 80er Jahren in der westdeutschen Bundesliga existierten. Damit seien Fußballfans aus Sicht der Staatssicherheit per se verdächtig gewesen, weil vom Westen beeinflusst. Einer Aktennotiz der für die Beobachtung zuständigen Hauptabteilung XX zufolge seien allein im Umfeld des RWE 2.500 bis 3.000 jugendliche Fans identifiziert worden, von denen etwa jeder Zehnte als politisch negativ eingeschätzt wurde.

Bemängelt wurde in einem anderen Vermerk etwa das „rowdyhafte“ Auftreten in den Reisezügen der Reichsbahn auf dem Weg von und zum Stadion, Alkoholmissbrauch sowie Sachbeschädigungen. Notiert wurden auch erhebliche Beeinträchtigungen der Verkehrssicherheit und des ordnungsgemäßen Spielablaufs durch Zündung von Feuerwerkskörpern, dem Absingen von Liedern mit diffamierenden, teilweise „feindlich negativen“ Inhalten. „In der Spielzeit 82/83 waren die Anhänger des RWE bei der Störung der öffentlichen Ordnung ganz vorn dabei“, sagt Parchwitz.

„Ausgewertet habe ich nur einen Teilbereich des Aktenbestands, etwa in Form von Tonbändern und Berichten“, resümiert Parchwitz. Immer wieder sei er bei seinen Recherchen auf Hinweise gestoßen, dass die Staatssicherheit das Fanproblem bis zum Ende der DDR nicht vollständig in den Griff bekommen hat.

„Es gab für jedes einzelne Oberligaspiel sogenannte Maßnahmenpläne von Volkspolizei und Staatssicherheit“, sagt der Historiker. Aber es findet sich in den Akten immer wieder auch die Aufforderung, Vereine und Ordner müssten bei der Bekämpfung der „feindlich-negativen Elemente“ entschlossener mitmachen.