Hohensaaten wehrt sich: Wald soll Solarpark weichen

In Hohensaaten bei Bad Freienwalde soll Wald gerodet werden, um Platz für Solarenergie zu schaffen. Eine Bürgerinitiative wehrt sich. Auch die Kirchengemeinde ist dabei.

Naturidylle an der Oder bei Hohensaaten
Naturidylle an der Oder bei HohensaatenKatharina Körting

Am Bahnhof Bad Freienwalde fahren zwar nur selten Busse, aber immerhin steht dort eine Akku-Ladestation für Elektrofahrräder. Gut möglich, dass der Strom dafür bald von Photovoltaikpaneelen im zwölf Kilometer nahen Hohensaaten erzeugt wird. Der Haken: Dafür soll Wald weichen.

Die Lindhorst-Gruppe, ein Agrarkonzern aus Niedersachsen, hat das rund 700 Hektar große Areal der Lunower Bauernheide erworben, um auf bis zu 370 Hektar Solaranlagen und auf 120 Hektar einen Gewerbepark zu errichten. Ein Bauantrag liegt laut Umweltamtsleiter Gregor Beyer noch nicht vor, aber der Ortsbeirat Hohensaaten und die Stadtverordnetenversammlung von Bad Freienwalde hatten dem Vorhaben – noch unverbindlich – im Dezember 2021 per Beschluss grünes Licht gegeben. Die Bürgerinitiative „Pro Wald Hohensaaten“, in der sich auch die örtliche Kirchengemeinde Oderberg-Altglietzen beteiligt, stemmt sich seit Frühjahr 2022 gegen diese Pläne.

Unterschiedliche Sichtweisen: Wald oder munitionsbelasteter Beton?

„Wenn im Namen der Energiewende ein ganzer Wald fällt, wäre das ein Präzedenzfall, der der Akzeptanz für die Erneuerbaren in der Bevölkerung nicht guttut“, sagt Martin Jenssen. Der promovierte Physiker engagiert sich nicht nur bei „Pro Wald“, sondern auch in kirchlichen Gremien, etwa als Präses der Kreissynode Oderland-Spree.

Durch Rodung werde die Temperatur der Luftschicht über der Anlage überdurchschnittlich um bis zu fünf Grad Celsius steigen, erklärt er. „Wald kühlt und hilft bei der Klimaanpassung“, betont der Waldexperte. Zur Veranschaulichung bietet er eine Tour an, einmal um das etwa 3.000 Meter lange und 1 500 Meter breite Waldgebiet herum – denn hinein kommt man nicht, es ist eingezäunt, Schilder warnen vor „Lebensgefahr“.

Martin Jenssen am Ufer der Wriezener Alten Oder vor dem rodungsgefährdeten Wald
Martin Jenssen am Ufer der Wriezener Alten Oder vor dem rodungsgefährdeten WaldKatharina Körting

Man sieht Reste teilgesprengter Bunkeranlagen – von 1937 bis 1945 wurden dort unterirdisch Sprengstoffkomponenten für die NS-Rüstungsindustrie hergestellt. Danach lagerte die Nationale Volksarmee Treibstoff auf dem Gelände, bevor es in den 1990er Jahren umfangreich saniert wurde. Der zuständige Landrat Gernot Schmidt (SPD) hält es dennoch für „total munitionsbelastet“.

Grauer Beton und wenig Wald

Auf der gesamten Fläche sei eine Kampfmittelräumung erforderlich. Ein Wald lässt sich nicht ersetzen Auch ein Werbevideo von Lindhorst, unterlegt von melancholischer Klaviermusik, betont die Gefahren. Gezeigt wird viel grauer Beton und wenig Wald. Lindhorst wolle – man sieht lächelnd über Pläne gebeugte Menschen – „das ehemalige Militärgelände von den Altlasten befreien und renaturieren“. Tatsächlich handle es sich bereits um „wertvolle Lebensräume“, hält Jenssen dagegen, die Bunker und Schächte „dienen als Quartiere für Fledermausarten, die es in der Menge in anderen Wäldern kaum gibt“.

Einen jahrhundertealten Wald könne man nicht ersetzen, auch nicht durch 90 Hektar Aufforstung bei Oderberg, wie die Lindhorst-Gruppe verspricht. Am anderen Ufer der Wriezener Alten Oder ist die Südseite des von Rodung bedrohten herbstlichen Mischwaldes zu sehen. Auf niederschlagsarmen Sandböden wachsen außer Kiefern unter anderem Trauben- und Stieleichen, Sandbirken, Spitz- und Bergahorne. In dem laut „Pro Wald“ stabilen Ökosystem haben sich besonders geschützte Arten angesiedelt wie Uhu, Seeadler, Schwarzstorch, dazu Reptilien, Amphibien und Insekten.

Investor: „Wir sanieren ein verseuchtes und versiegeltes ehemaliges Militärgebiet“

Während Jenssen von der Vielfalt schwärmt, kreist ein Bussard über dem Fluss, im Wasser spiegelt sich Wolkenhimmel – eine Idylle. „Ein klassischer Interessenkonflikt“, meint derweil nüchtern Landrat Gernot Schmidt (SPD). Er verweist auf den steigenden Strombedarf: „Es ist ein Riesendruck.“ Aus dieser Sicht erscheint der Wald als ein Opfer, das dem ökologischen Fortschritt zu bringen ist.

„Wir sanieren ein verseuchtes und versiegeltes ehemaliges Militärgebiet und machen es den Bürgern wieder zugänglich“, wirbt der Investor. Außerdem erzeuge man CO²-frei 200 Megawatt Strom, schaffe bis zu 400 neue Arbeitsplätze, „Gewerbesteuereinnahmen und Einnahmen durch die Stromerzeugung“, einen „sicheren Ort der Naherholung“ und „eine deutliche Belebung der Region“. Bei einer Projektlaufzeit von 25 bis 30 Jahren wolle man 25 Millionen Euro investieren. Entsprechend signalisierten bislang alle Bad Freienwalder Stadtverordneten Zustimmung, außer denen der AfD, die „gegen den massenhaften Aufbau von sogenannten regenerativen Energien“ ist, wie der AfD-Stadtverordnete Lars Günther erklärt.

Pfarrer: „Wir wollen, dass nicht Macht und Geld über die Natur entscheiden“

Bei einer Informationsveranstaltung im Oktober machte Pfarrer Johannes Eichhorn in seiner Andacht deutlich, dass es nicht gegen Erneuerbare Energien gehe, sondern um die Bewahrung der Schöpfung: „Wir wollen, dass nicht Macht und Geld über die Natur entscheiden.“ Der junge Pfarrer, der seine erste Stelle nach dem Vikariat 2022 dort angetreten hat, rät zur Nutzung anderer Flächen, etwa von Kirchdächern – und dazu, den „Energiehunger“ zu überdenken.

Für den 7. November berief Bad Freienwalde eine Einwohnerversammlung ein. Wegen des großen Interesses fand sie im vier Kilometer entfernten Dorfgemeinschaftshaus Hohenwutzen statt. Rund 70 Interessierte hörten sich an, wie die vom Investor beauftragte Dresdner Planungsfirma Gicon und das Hamburger Institut für angewandte Ökosystemforschung ((IfAÖ)) einen „Artenschutzrechtlichen Fachbeitrag“ vorstellten. Demnach sind zwar 68 geschützte Brutvogelarten, 15 Fledermausarten, außerdem Zauneidechsen, Biber und Fischotter betroffen, aber das sei alles auszugleichen. Wie genau das gehen soll, etwa bei Ameisenhaufen oder Fledermäusen, blieb offen.

Einwohnerversammlung sieht Pläne des Investors skeptisch

Die meisten Anwesenden äußerten sich entsprechend skeptisch bis ablehnend. Die Hohenwutzenerin Marianne Beise bat den Investor, „zu den ursprünglichen Plänen, auf dem Gelände Jagd- und Forstwirtschaft zu betreiben, zurückzukehren und den Wald mit seinem großen Artenreichtum zu erhalten – dafür gibt es auch Geld“. Sie wünschte sich, dass Lindhorst „umweltfreundlich und zukunftsorientiert“ mit seinem Know-how mitwirkt, „dass auf die Scheunen und Dächer der Region Solar unbürokratisch, kostengünstig und schnell installiert werden kann“. Dem Applaus nach zu schließen, sprach sie den meisten Anwesenden aus der Seele.

Info: Am Donnerstag, 23. November, 18 Uhr, findet ein öffentliches Fachgespräch zum Energie- und Gewerbepark Hohensaaten mit dem Biologen Michael Succow, Träger des Alternativen Nobelpreises, statt. Konzerthalle St. Georg Bad Freienwalde, Georgenkirchstraße 1 in 16259 Bad Freuenwalde. Die Bürgerinitiative Hohensaaten pro Wald erbittet Spenden.