„Höher als alle Vernunft“

Die Logik des Gottesfriedens kann der begrenzten menschlichen Vernunft widersprechen. Über die Friedensethik der Bibel sprach Sven Kriszio mit dem Theologieprofessor Fernando Enns.

Sven Kriszio: „Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft …“, heißt es im Segen. Was bedeutet dieser Zuspruch für uns Menschen?
Fernando Enns: Er bedeutet, dass es über die menschliche Vernunft hinausgehend noch einen weiteren Horizont gibt, der unsere Wirklichkeit bestimmt. Das ist der Friede Gottes. Das heißt, dass auch wenn unsere Vernunft sagt, dass es in bestimmten Fällen ohne Gewalt keine Lösung geben kann, der Friede Gottes dennoch eine realitätsbestimmende Größe bleibt, mit der fest zu rechnen ist. Und die Logik dieses Gottesfriedens kann unserer begrenzten Vernunft widersprechen. Daraus folgt für Christen, dass wir niemals vor Alternativlosigkeit stehen, wenn es um Leben und Tod geht.
Woher wissen wir um diese Alternativen?
Als Christen haben wir neben den scheinbaren politschen Realitäten und ihrer medialen Vermittlung immer die Zusage Gottes, dass durch seine schöpferische Präsenz ständig neue Möglichkeiten entstehen. Diese Zusage entnehmen wir der Bibel, insbesondere der Zusage des Reiches Gottes. Es ist Gottes Gegenwirklichkeit zu aller Gewalt, die mit Christus in diese Welt gekommen ist. Wer das glaubt, der wird danach streben, die Gewaltspiralen zu durchbrechen, die darauf beruhen, dass man meint, Gewalt nur mit Gegengewalt eindämmen zu können. In den meisten Fällen geschieht aber gerade eine Potenzierung von Gewalt. Die Logik der Gegengewalt bleibt der Vergeltungslogik verhaftet. Die Bergpredigt deckt die Begrenzung der Vergeltungslogik auf und überbietet sie mit dem Gebot der Feindesliebe und dem Leben einer „besseren Gerechtigkeit“.
Gibt die Bibel eine Art Befriedungsprogramm für die Welt vor?
Ich glaube nicht, dass sie ein Programm bereitstellt, sondern eher die Gewaltrealitäten dieser Welt sehr ernst nimmt und versucht, realistisch einzuschätzen, welche Handlungsspielräume sich für Menschen ergeben, die an einen Gott der Versöhnung glauben. Somit bietet die Bibel eher die Begründung für eine Ethik der Gewaltfreiheit, die auf Versöhnung zielt, mitten in dieser Welt voller Gewalt.
Ist eine Welt ohne Krieg vorstellbar?
Ja unbedingt. Diese Vision von einer Welt ohne Krieg beschreibt das Reich Gottes, das als Vision nicht einfach ein Zukunftsbild ist, sondern die Möglichkeit entwirft, gewaltsame Konflikte zu lösen, hier und jetzt. Diese Vision wirkt in die Gegenwart.
Wie sollen sich Christen verhalten?
Für Christen bedeutet dies zuallererst, auf jede Form der Gewaltanwendung zu verzichten. Zur Glaubwürdigkeit des christlichen Zeugnisses gehört ein politsches Handeln, das die Realität des Friedens Gottes in die gesellschaftliche Realität einträgt. Paulus Hartono beispielsweise, ein mennonitischer Pastor in Indonesien, ging zu muslimischen Extremisten. Bei der ersten Begegnung fragte ihn der Befehlshaber der Gruppe, welchen Grund es geben könne, ihn nicht auf der Stelle umzubringen. Hartono antwortete: „Mein Gott lehrt mich, dass wir nicht töten dürfen und dass wir unsere Feinde lieben sollen. Was lehrt euer Gott?“ Daraus entwickelten sich viele weitere Begegnungen und eine neue Beziehung, die niemand für möglich gehalten hätte.
Sie gehören den Mennoniten an. Was bedeutet das im Alltag?
Ich vermute, dass wir als Friedenskirche zuweilen eine andere Perspektive auf die politischen Ereignisse um uns herum haben als andere. Dies ist womöglich einer größeren Sensibilisierung geschuldet, die aus der Geschichte herrührt. Täufer/Mennoniten wurden als Minderheit von anderen Christen verfolgt und mussten sich zur Frage auch staatlicher Gewalt aus der Opferperspektive verhalten. Weisung und Trost fanden sie in den Zusagen der biblischen Zeugnisse. Diese Erfahrung teilen sie heute mit vielen in der weltweiten Ökumene. Vielleicht haben Mennoniten weniger Furcht davor, in Opposition zu treten zum Mainstream, zu Regierungen, wenn es um Konfliktlösungen geht, die das Recht aller im Blick zu behalten versuchen.

Info

Professor Fernando Enns ist Leiter der Arbeitsstelle „Theologie der Friedenskirchen“ am Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Hamburg und Professor für (Friedens-) Theologie und Ethik an der Theologischen Fakultät der Vrije Universiteit Amsterdam.