„Heute stirbt hier Kainer“ – ein Film, wie es ihn selten gibt

Ein einsamer Mann erhält eine niederschmetternde Diagnose. Und beschließt sich umzubringen. Doch in dem Dorf, in das es ihn verschlägt, wird er in vielerlei Hinsicht dringend gebraucht – sein Suizid muss also warten.

In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:

Ein Fremder kommt in die Stadt – das kennen wir aus zahlreichen Western und wissen auch, dass es meistens auf nichts Gutes rausläuft und dafür sorgt, dass die Luft bald bleihaltig wird. Das ist auch in diesem in der hessischen Provinz angesiedelten Dorf-Western von 2021 nicht anders.

Hier ist es ein von Martin Wuttke gespielter, todkranker Einsiedler, der in einem Örtchen namens Oberöhde seine letzten Tage erleben will, woraus dann aber auch die letzten Tage von diversen anderen Figuren werden. Denn der ruhige Abschied wird hintertrieben, als der Mann für einen Mafiakiller gehalten wird und damit in schwelende Auseinandersetzungen zwischen Dorfbewohnern und allerhand gewaltbereiten Widersachern hineingezogen wird.

Eine schön lakonische Provinz-Groteske, in der Regisseurin Maria-Anna Westholzer lustvoll mit den amerikanischen Genre-Vorbildern spielt.

„Heute stirbt hier Kainer“ ist ein Film, wie es ihn selten gibt im deutschen Fernsehen: überbordend vor Einfällen, Sex, Pistolen, jeder Menge schräger Typen und absurder Wendungen. Dazu das freche Spiel mit politischen Unkorrektheiten und das Brechen von Klischees.

Das Ganze endet in einem minutenlangen Showdown, wie man ihn noch selten gesehen hat in einer deutschen TV-Produktion. Diese Sequenz wie die ganze Produktion atmen eine Lust am (Genre-)Film, die ansteckend ist.

Ausgerechnet Oberöhde! In dem (fiktiven) Kaff landet der Endfünfziger Ulrich Kainer mit dem Plan, sich das Leben zu nehmen. Kurz zuvor hat er beim Arzt eine niederschmetternde Diagnose bekommen und sich, getrieben von Erinnerungen an die ländliche Kindheit, in die Provinz aufgemacht. In Oberöhde bezieht Kainer (Martin Wuttke) Quartier bei der alleinerziehenden Marie (Britta Hammelstein), Nachname: Abel. Einen tieferen Sinn hat der Namenswitz über Kain und Abel nicht; wie so manches in dieser Provinz-Posse mit Western-Touch ist er vor allem eins: albern. Das allerdings auf höchstem und sehr unterhaltsamem Niveau!

„Heute stirbt hier Kainer“ ist ein Film, wie es ihn selten gibt im deutschen Fernsehen: überbordend vor Einfällen, Sex, Pistolen, jeder Menge schräger Typen und absurder Wendungen. Dazu das freche Spiel mit politischen Unkorrektheiten, das Brechen von Klischees: So gibt es hier einen Schwarzen, der sich als „diagnostizierter Masochist“ von einer Gruppe tumber Nazis mit Genuss schlecht behandeln lässt. Und die im Kugelgewitter des Showdowns festgekettete Marie ruft bei der feministisch geschulten Zuschauerin auch erstmal spontane Ablehnung hervor. Tatsächlich aber ist diese Frau keineswegs hilflos oder passiv gezeichnet, gerade in sexueller Hinsicht weiß Marie zum Beispiel sehr genau, was sie will.

Filme über Menschen – gerne sind das Männer -, die durch das Leben, das ihnen dazwischenkommt, vom Sterben abgehalten werden, gibt es ja öfter. Oft geht es bei derlei Geschichten um eine zweite, in die Zukunft gerichtete Chance, die sich für die Hauptfigur auftut.

Im Zentrum von „Heute stirbt hier Kainer“ hingegen steht klar die ziemlich irre Gegenwart von Oberöhde. Das kleine Dorf erweist sich nämlich, konträr zu seinem Namen, als sehr lebendig. So gibt es hier den Wirt Cesare (Michele Cuciuffo), der mit Bratsche (Alexander Hörbe) und Graber (Martin Feifel) im Clinch liegt und den beiden mit großer Geste droht. Aus dem schweigsamen Fremden im ballonseidenen 80er-Jahre-Trainingsanzug (den Kainer nur trägt, weil seine Kleider in der Wäsche sind) wird über ein tratschendes Rentner-Trio alsbald ein sizilianischer Mafioso. Cesare habe diesen, so geht fortan das Gerücht im Dorf, auf seine Widersacher angesetzt.

Als Graber den vermeintlichen Mafia-Schergen zu sich nach Hause bittet, eskaliert die Situation auf tragisch-absurde Weise. Und zwar ganz ohne Kainers Zutun, der getreu seinem einsamer-Cowboy-Image doch eigentlich nur seine Ruhe haben will. Auf den Plan treten sodann ein großkotziger, das Landleben verachtender Ermittler (Justus von Dohnanyi) sowie die erwähnte Nazi-Truppe. Alle zusammen sorgen schließlich für einen minutenlangen Showdown, wie man ihn noch selten gesehen hat in einer deutschen TV-Produktion. Diese Sequenz wie die ganze Produktion atmen eine Lust am (Genre-)Film, die ansteckend ist.

So zeigt sich denn auch jedes Gewerk von seiner besten Seite: Grundlage für alles ist das sorgfältige, ideenreiche Drehbuch von Michael Proehl und Maria-Anna Westholzer mit seiner gut entwickelten Story, seinen starken Dialogen und seinem trockenen Humor. Westholzer zeichnet außerdem für die Inszenierung mit ihrem Gespür für Rhythmus, Stil und Pointe verantwortlich. Dazu kommt die Kameraarbeit von Armin Dierolf, die stimmige Western-Atmosphäre verbreitet. Von Matti Rousse wunderbar ausgewählt ist zudem die Musik – herrlich die mit Richard Wagner unterlegten Auftritte von Bratsche!

Last but not least sei der tolle, hochkarätige Cast erwähnt, bei dem man sich scheut, einen oder eine hervorzuheben, so durchweg gut tritt dieser auf. Das Einzige, das an diesem so oft regelrecht verblüffenden Film so gar nicht überrascht: dass der Hessische Rundfunk dahintersteckt, der in Sachen Spielfilm Experimentierfreudigste unter den ARD-Sendern. Bitte mehr davon!