Heilsame Kettenreaktion

Über den Predigttext zum Sonntag Reminiscere: Römer 5,1-5 (6-11)

Predigttext (in Auszügen)
1 Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus. 2 Durch ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung auf die Herrlichkeit, die Gott geben wird. 3 Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, 4 Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, 5 Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist. 6 Denn Christus ist schon zu der Zeit, als wir noch schwach waren, für uns Gottlose gestorben. 7 Nun stirbt kaum jemand um eines Gerechten willen; um des Guten willen wagt er vielleicht sein Leben. 8 Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren. 9 Um wie viel mehr werden wir nun durch ihn gerettet werden vor dem Zorn, nachdem wir jetzt durch sein Blut gerecht geworden sind. 10 Denn wenn wir mit Gott versöhnt worden sind durch den Tod seines Sohnes, als wir noch Feinde waren, um wie viel mehr werden wir selig werden durch sein Leben, nachdem wir nun versöhnt sind. (…)

Wer genau hinschaut, merkt: Wir alle kalkulieren ununterbrochen Risiken. Meistens tun wir das unbewusst. Wir bewegen uns im Straßenverkehr, obwohl aggressive Fahrstile deutlich zugenommen haben. Wir besuchen Großveranstaltungen, obwohl es eine latente Terrorgefahr gibt. Wir bekommen Kinder, obwohl wir wissen, dass auch deren Lebenszeit  begrenzt ist. Gut, dass wir das alles tun: das Leben riskieren.

Denn manchmal erleben wir auch heillose Kettenreaktionen: Der andere streckt die Hand aus, sucht meine Nähe. Ich gehe vorsichtshalber nur halbherzig darauf ein. Die Folge: Der andere zieht sich zurück und ich fühle mich bestätigt in meinem Misstrauen. Wir beide leiden. Immer wieder geht es für uns um diese eine Frage: Gehen wir das Risiko zu vertrauen ein oder lieben und leben wir mit angezogener Handbremse?

Paulus jedenfalls geht im Römerbrief in die Vollen. Er ringt leidenschaftlich um das Gehör seiner Adressaten. Es geht ihm ja auch um nichts weniger als die Rettung vor dem Zorn Gottes. Paulus erläutert: Gottes Geduld war eigentlich bereits am Ende, doch trotzdem nahm er in Jesus Christus einen erneuten Anlauf, seinen Geschöpfen den Schritt ins rechte Verhältnis zu ihm zu ermöglichen. Mit dem Paukenschlag der Auferweckung seines Sohnes von den Toten und der damit einhergehenden Überwindung der Macht des Todes streckt Gott ein weiteres Mal die Hand aus: Lass dich auf mich ein und vertraue mir.

Glaube mir. Paulus will die Gemeinde in Rom aus der heillosen Kettenreaktion des Misstrauens herauslocken, indem er eine heilsame vor Augen führt: Der Mensch vertraut ( glaubt) Gott als seinem Schöpfer. Er regelt damit sein Verhältnis zu Gott. Weltliche Bedrängnisse stellen sein Vertrauen auf die Probe.  Aus dem Vertrauen entsteht aber eine standhafte Bewährung. Es wächst eine tragende „Dauerhoffnung“ in Liebe. Ist Paulus ein Romantiker?

Was passiert, wenn ich mich als Geschöpf Gottes wahrnehme? Das scheint der Dreh- und Angelpunkt zu sein. Ich setze mich damit in ein neues Verhältnis zu den Anderen; sie sind so Mit-Geschöpfe. Auch sie leben nicht aus sich heraus. Sie sind denselben Bedrängnissen ausgesetzt wie ich. „Ich lerne es den zu umarmen, dessen Tage ebenfalls gezählt sind“, schrieb der Kabarettist Hanns Dieter Hüsch.

Daraus könnte resultieren, dass ich mehr mit dem anderen denke als gegen ihn. Dazu gehört viel Geduld. Denn wir sind nicht zwangsläufig übermenschlich, nur weil wir uns solidarisch fühlen. Sich dem anderen auszusetzen kostet Kraft. Vertrauen kostet Kraft. In der Polizei, in der ich als Seelsorgerin tätig bin, verdichtet sich Vertrauen  in besonderer Weise zum Kraftakt: Es gibt keine andere Berufsgruppe, in die mehr Vertrauen gesetzt wird. Das allein ist schon ein großer Druck. Gleichzeitig müssen die Beamten selbst Vertrauen aufbringen: Sie sind extrem abhängig von der Zuverlässigkeit des Streifenpartners oder der Streifenpartnerin. Sie müssen sich selbst vertrauen, den anstehenden Einsatz bewältigen zu können. Sie müssen in die Organe und die Verfasstheit unserer Gesellschaft Vertrauen setzen. Sie müssen vor allem aber darauf vertrauen, dass es mehr gibt als das Elend und das Böse, in das sie gerade schauen. Ja, auch diese Bedrängnisse  meint Paulus: dem gefährdeten und dem misslingenden Leben ins Gesicht zu schauen.

Wenn es romantisch ist, auch dann das Leben zu lieben, wenn es sich von seiner schweren Seite zeigt, dann bin ich gerne mit Paulus ein romantisches dauerhoffendes Geschöpf. Sie auch?