Harte Zeiten für russische Regimekritiker in Serbien

Jedermanns Liebling. So mag sich Serbiens Präsident Vucic fühlen, der Freundschaft zu Russland beschwört und zugleich mit der EU liebäugelt. Wie geht es russischen Regimegegnern damit, die zu Tausenden nach Belgrad flohen?

„Der Mörder heißt Putin“, „Frieden für die Ukraine, Freiheit für Russland“. Über ihren Bannern schwenken die Demonstranten die Flaggen der Ukraine und der EU. Dabei sind es Russen, die in den vergangenen Tagen auf die Straßen von Novi Sad gingen und in Belgrad ein Kerzenmeer für den Kreml-Kritiker Alexej Nawalny entzündeten. Jedoch wird der Spielraum für russische Regierungsgegner in Serbien immer enger: Die Regierung ihres Gastgeberlandes ist eng verbündet mit Russlands Präsident Wladimir Putin.

Wiederholt geriet Serbien in den vergangenen zwei Jahren in die internationale Kritik, da Belgrad keine Sanktionen gegen Russland erließ. Die Hauptstadt hat sich seither zu einer beliebten Urlaubsdestination und einem Refugium für Russen entwickelt – ironischerweise auch für Kreml-Kritiker.

„Heute leben viele russische Migranten in Serbien, darunter auch Vertreter von Zivilgesellschaft und Opposition“, berichtet der Politologe Nikola Burazer in Belgrad. Während nach Beginn des russischen Angriffskriegs auch Ukrainer in das Westbalkan-Land flohen, seien Russen in Zahl und Sichtbarkeit deutlich voran. „Ukrainische Flüchtlinge hatten viele Möglichkeiten, darunter EU-Mitgliedstaaten – russische Migranten nicht.“

Nicht zuletzt sind Serben und Russen auch kulturell verbunden: Der orthodoxe Glaube diene als einendes Band, so der Südosteuropa-Experte Florian Bieber: „Unter konservativ-nationalistischen Serben gibt es das Gefühl, dass Russland der große Bruder ist.“ Dieser Mythos werde von Medien und Kirchen gestärkt.

Eine politische Irrfahrt – so beurteilen einige Beobachter die Außenpolitik von Serbiens Präsident Aleksandar Vucic: Während er selbst Neutralität beanspruche, strebe er für das Westbalkan-Land eine EU-Mitgliedschaft an und unterhalte gleichzeitig gute Beziehungen zu China und Russland.

Zwar betonte der starke Mann in Belgrad, dass die Beziehung zu Russland nach Nawalnys Tod „schwieriger“ werde. Doch fast im selben Atemzug lehnte er eine Sanktionierung des Verbündeten ab. „Das ist typisch für Vucic. Er sagt das, was man sowohl in Moskau als auch in Brüssel und Berlin hören will“, resümiert der Balkanexperte Dusan Reljic.

Mitte Februar, an Serbiens Nationalfeiertag, präsentierte Vucic seinem Volk ein neues Militärarsenal: ein Drohnenabwehrsystem, Panzer, Raketen – angeschafft aus Moskau. Für die Exil-Russen muss das wie ein Schlag gewesen sein. „Es gibt Berichte, wonach die serbischen Behörden sie administrativ schikanieren oder im Interesse Russlands sogar ausspionieren“, so der Politologe Burazer.

Am selben Tag berichtete die Nachrichtenagentur AP über eine Russin in Belgrad, deren Aufenthaltsgenehmigung aufgehoben worden sei, nachdem sie eine Petition gegen den Angriff auf die Ukraine unterschrieben habe. So erging es laut der Russisch-Demokratischen Gesellschaft zuletzt immer mehr kritisch denkenden Russen in Belgrad. Ein Vertreter des Diasporavereins sei wegen fortdauernder Scherereien nach Deutschland geflohen.

Seit 2012 ist Serbien ein EU-Beitrittskandidat. In den vergangenen Wochen ist die Aufnahme aber wieder in weite Ferne gerückt – und das nicht nur wegen des engen Verhältnisses zu Russland und zu China. Auch innenpolitisch driftet Belgrad immer mehr von Brüssel ab. Bei den Parlaments- und Lokalwahlen im Dezember soll es Stimmenkauf und Einschüchterungen gegeben haben, ganz zu schweigen von den regierungsnahen Propaganda-Medien, in denen Vucic den Serben inzwischen fast täglich die Welt erklärt. Das EU-Parlament forderte eine unabhängige Untersuchung.

Ebenfalls noch ausstehend ist die staatliche Anerkennung des Kosovo, die als Voraussetzung für einen EU-Beitritt Serbiens gilt. 2008 hatte der Kosovo seine Unabhängigkeit ausgerufen. Belgrad betrachtet das Gebiet immer noch als serbische Provinz.

Kann Vucic seinen Kurs in einer zusehends polarisierten Welt noch lange fortsetzen und sowohl Russland wie auch dem Westen Freundschaft vorgaukeln? Darauf hat der Außenpolitik-Experte Reljic schnell eine Gegenfrage parat: „Was würde ihn daran hindern?“ Vonseiten der EU gebe es keine feste Zusage über einen Beitritt – und selbst Gelder, die über den Fonds für die Annäherung an die EU versprochen wurden, seien kein ernstes Druckmittel.

Wirtschaftlich könne sich Serbien auch gut ohne die Hilfe aus Brüssel über Wasser halten. Zudem werde es sich Vucic nicht mit gleich zwei Veto-Mächten des Weltsicherheitsrates verscherzen, solange der Kosovo-Streit ungelöst bleibt, so Reljic: „Ein gutes Verständnis mit Moskau und Peking ist von größter Bedeutung.“