Günter Grass zwischen Tango und Ballett

Ob Foxtrott, Walzer oder Tango: Der Literaturnobelpreisträger Günter Grass (1927-2015) war ein leidenschaftlicher Tänzer. Ein Schwarz-Weiß-Foto im Lübecker Günter Grass-Haus zeigt den jungen Grass, noch ohne Schnauzbart, wie er mit seiner ersten Frau Anna schwungvoll übers Parkett fegt. Das Bild ist Teil der Schau „Grass Tanzbar“, die vom 28. März bis 5. Januar 2025 in dem Lübecker Museum zu sehen ist.

„Mit dieser Ausstellung haben wir Neuland betreten. Diese Facette an Günter Grass war bislang nahezu unerforscht“, sagte der Leiter des Günter Grass-Hauses, Jörg-Philipp Thomsa, am Dienstag in Lübeck. Dabei ziehe sich der Tanz sowohl durch das gesamte Leben als auch durch das ganze Werk des Multitalents.

Herzstück der Ausstellung ist eine von dem Berliner Designer Matthias Kaminsky konzipierte Drehbühne mit einer Bar, an der Besucherinnen und Besucher miteinander ins Gespräch kommen können. Von der Theke aus kann man sich sozusagen langsam durch die dreiteilige Ausstellung fahren lassen.

Der erste Themenblock „Eine tanzwütige Zeit“ widmet sich den Anfängen von Grass‘ Tanz-Karriere. Als Dreizehnjähriger lernte er 1940 Foxtrott, Walzer und Tango, um, wie er selbst schrieb, mit den „vereinsamten Soldatenbräuten“ zu tanzen. Wenige Jahre später musste Grass selbst in den Krieg ziehen, mit dem Tanzen war es zunächst vorbei.

Die Nachkriegsjahre wurden wieder „tanzwütig“ für den jungen Künstler. In einer Tanzschule in Düsseldorf lernte er Swing und Jazz kennen, er empfand den Tanz zu amerikanischer Musik als Befreiung von den harten Entbehrungen des Zweiten Weltkriegs.

Im nächsten Themenblock „Der Mensch als Tanzmaschine“ läuft auf einem Monitor ein Interview mit Grass‘ erster Frau Anna. „Nach dem ersten Tanz mit ihr wusste Grass, dass er sie heiraten wollte“, sagte Thomsa. Mit ihr, einer Ballerina, ging Grass nach Berlin und bekam Zugang zum Ballett. Er schrieb sogar selbst Ballettstücke und brachte sie zur Aufführung.

Die Art zu tanzen faszinierte ihn, auch wenn er die Ballerina als „große, ganz und gar künstliche Puppe“ empfand. In der Ausstellung sind Grafiken von Grass zu sehen, die geometrische Vogelscheuchen in Ballettposen zeigen.

Der dritte Themenblock „Letzte Tänze“, in Anspielung auf Grass‘ gleichnamigen Gedichtband, zeigt zahlreiche Bilder und Skulpturen des Autors von tanzenden Paaren. Gleich daneben sind zwei Videos vom schwofenden Grass zu sehen. 2003 tanzte der damals immerhin schon 76-Jährige spontan auf der Frankfurter Buchmesse einen Ragtime. „Grass hat sich selbst als lebenslustigen Pessimisten bezeichnet. Das spiegelte auch seine Art zu tanzen wider“, sagte Thomsa.

Ebenfalls 2003 gab Grass ein Fernsehinterview, in dem er erklärte, er und seine zweite Frau Ute seien Nachtvögel. Kurz nach Mitternacht tanzten sie gerne ein paar Takte in der Küche und gingen dann zu Bett. „Das ist wunderbar. So löse ich gerne einen Tag auf“, erklärte er. Wenig später lässt sich der Journalist von ihm das Geheimnis des Schiebertanzes zeigen: „Sie muss immer das leichte Gefühl haben: ‚Wenn er mich nicht hält, dann stürze ich’“, erklärte Grass.

Auch die politische Dimension des Tanzes ist Thema der Schau. Eine Filmcollage des Hamburger Künstlers Mikhele Apitzsch greift die Lage im Iran auf, wo der Tanz als Protest gilt und verboten ist. Ebenso thematisiert er die Überfälle auf den Musikclub Bataclan 2015 in Paris und der Hamas am 7. Oktober 2023, wo die Terrororganisation unter anderem ein Open-Air-Festival angriff.

Die Schau schließt mit einem Diorama, das eine berühmte Szene aus Grass‘ Roman „Die Blechtrommel“ zeigt. Der kleine Oskar Matzerath sprengt mit seiner Trommel eine nationalsozialistische Versammlung, indem er die Nationalsozialisten aus dem Takt bringt und sie Walzer tanzen lässt. Zuvor ist das Foto einer kürzlich stattgefundenen Demonstration gegen Rechtsextremismus in Lübeck zu sehen. „Wir schlagen Oskars Trommel auch heute weiter“, sagte Thomsa.