Gesundheitssystem soll umgebaut werden – Mehr Vorbeugung

Gesundheit ist ein teures Gut. Und in der alternden Gesellschaft wird sie immer teurer. Um so wichtiger wird es, mehr in Vorbeugung zu investieren.

Die Schlagzahl ist hoch: Kaum eine Woche vergeht, in der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) keine neue Initiative oder ein neues Gesetz auf die Rampe bringt. Scheinbar unbelastet von allem Koalitionsstreit, kündigte der Minister am Wochenende erneut in der “Bild”-Zeitung sein “Gesundes-Herz-Gesetz” an.

“Wir wollen deutschlandweit Kinder und Jugendliche, 25-Jährige, 35-Jährige und 50-Jährige mit einem Gutschein-System auffordern, Werte messen zu lassen: den Blutdruck, auch den Risikofaktor Zuckerkrankheit”, erläutert der Minister. Die Menschen in Deutschland sollen verstärkt an Vorsorgeuntersuchungen teilnehmen. Gutscheine für Herz-Check-ups werden in Apotheken und Arztpraxen einlösbar sein. “Das werden wir später über die elektronische Patientenakte abwickeln”, so der Minister.

Lauterbach zufolge soll das “Herz-Gesetz” noch vor der Sommerpause vorgelegt werden und schon in nächsten Jahr in Kraft treten. Ob das angesichts der politischen Großwetterlage und der Bundestagswahlen im kommenden Jahr realistisch ist, sei dahingestellt.

Fest steht aber: Ein Umbau des Gesundheitswesens hin zu mehr Prävention ist nach Einschätzung fast aller Gesundheitsexperten dringend erforderlich. Weil es Krankheiten und Leid verhindert und weil es in einer immer älter werdenden Gesellschaft auch Kosten spart. Allerdings ist solch ein Umbau nicht umsonst zu haben. Und es gibt viele Stellschrauben, an denen gedreht werden muss.

Vergangene Woche hatte Lauterbach einen Entwurf für ein Gesetz zur Stärkung der öffentlichen Gesundheit vorgelegt. Ein Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM) soll ab Januar bundesweit Gesundheitskompetenz vermitteln und sich um die Vermeidung nicht übertragbarer Erkrankungen wie Krebs, Demenz oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen kümmern.

“Deutschland gibt so viel wie kein anderes EU-Land für Gesundheit aus, ist bei der Lebenserwartung aber trotzdem nur Durchschnitt”, so der Minister. “Es fehlt an wirksamer Vorbeugung, unser System ist zu stark auf Behandlung schon bestehender Krankheit ausgerichtet.”

Auch der Wissenschaftsrat, der Bund und Länder berät, hatte sich im Mai für eine Trendwende ausgesprochen. Hunderttausende Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes- und Krebserkrankungen wären durch Prävention vermeidbar. Vorbeugung sei ein Schlüssel, um die Gesellschaft leistungsfähig zu halten und die Versorgung zu sichern. “Die alternde Gesellschaft und der Mangel an Fachkräften überfordern unser Gesundheitssystem schon heute”, betonte der Vorsitzende Wolfgang Wick. Gefordert sei ein Schulterschluss zwischen Politik, Wissenschaft, Ärzten, Krankenkassen und Medien.

Der Wissenschaftsrat war sich einig: Es fehlt in der Gesundheitsprävention nicht an Einzelerkenntnissen. Vielmehr mangele es an ihrer Umsetzung und der Vernetzung der Akteure. Notwendig sei eine andere Verteilung der vorhandenen Mittel im Gesundheitssystem. Krankenkassen, die stark in Prävention investierten, müssen mit finanziellen Nachteilen rechnen. 2023 gaben die Gesetzlichen Kassen rund 584 Millionen Euro für Gesundheitsförderung aus. Das waren neun Prozent mehr als im Vorjahr und ein Plus das zweite Jahr in Folge.

Medizin, Krankenkassen und Politik müssten stärker umsteuern, um Prävention attraktiver zu machen, forderte der Wissenschaftsrat. Auch müssten mehr Gesundheitsdaten, auch von Gesunden, erhoben, vernetzt und genutzt werden. Auch sind nach Meinung des Wissenschaftsrats wirtschaftliche Anreize notwendig – etwa durch die Förderung gesunder Lebensmittel.

Gefordert ist allerdings auch jeder Bürger selber: “Sogar im Fünften Sozialgesetzbuch steht, dass Menschen mitverantwortlich sind für ihre Gesundheit, über Lebensführung und Teilnahme an Prävention”, sagt die scheidende Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx. Jeder einzelne müsse sich fragen: Was kann ich vorbeugend tun, damit ich möglichst lange nicht pflegebedürftig werde? Auch finanzielle Vorsorge könnte wohl künftig wichtiger werden, jedenfalls für diejenigen, die sich das leisten können.