Gehörlosenfrühstück mit Menschen aus der Ukraine

Einmal in der Woche versammeln sich gehörlose Ukrainerinnen und Ukrainer zum Frühstück in Berlin-Neukölln. Roland Krusche, Gehörlosenpfarrer der EKBO, organisiert das Angebot.

Jeden Montag treffen sich gehörlose ukrainische Geflüchtete zum Frühstück. Neben Pfarrer Roland Krusche (ganz rechts) sitzt eine Besucherin, daneben die Gebärdensprachlerinnen Ihna Huskova und Ute Stein.
Jeden Montag treffen sich gehörlose ukrainische Geflüchtete zum Frühstück. Neben Pfarrer Roland Krusche (ganz rechts) sitzt eine Besucherin, daneben die Gebärdensprachlerinnen Ihna Huskova und Ute Stein.Uli Schulte Döinghaus

Berlin. Nichts, rein gar nichts, habe sie in jener Nacht bemerkt. Davon erzählt die junge Frau in ukrainischer Gebärdensprache. Ihre Hände bilden Formen, die von den anderen Frauen und Männern in der Frühstücksrunde zustimmend beantwortet werden. Manche nicken, einige gebrauchen ihre Hände vielleicht etwas angespannter als sonst, während sie ihre Geschichten erzählen. Alle, die sich heute versammelt haben, mussten Flucht und Kriegsgeschehen in der Ukraine erfahren.

Die meisten wohnen (noch) in der Notunterkunft für Geflüchtete im ehemaligen Flughafen Berlin-Tegel, andere kommen aus Potsdam in die Räume des Sozialzentrums der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Berlin-Neukölln. Dort treffen sich jeden Montag rund 30 Ukrainer und Ukrainerinnen, um bei einem Frühstück Nachrichten aus der Heimat und Erfahrungen in Deutschland auszutauschen und um die Deutsche Gebärdensprache zu lernen.

Komplizierte Reise

Dass sie gehörlos sind, machte ihre Reise nach Deutschland kompliziert. Die Frau erzählt weiter: „Da war im Erdgeschoss schon Beschuss durch russisches Militär.“ Schließlich hätten Nachbarn sie aufmerksam gemacht, dass sie mit ihrer Familie, alle gehörlos, sofort das Haus verlassen müssten. „Sonst würden sie unter den Trümmern begraben.“ Zustimmung, Nicken, einige stehen auf, um ihre aufgeregten Gebärden noch deutlicher in die Runde zu geben. Sie sprechen, und es bleibt still.

Einer gebärdet, dass er mit seiner Familie in einem heftig umkämpften Gebiet im Osten gelebt habe, das mal von Russen besetzt und mal von Ukrainern zurückerobert worden sei. Eine junge Frau berichtet, dass sie und ihre Kinder mit den Nachbarn im Haus einige Tage lang im Keller ausgehalten hätten. Wenn Wasser und Vorräte zur Neige gegangen seien, habe man sich schnell irgendwo draußen neuen Proviant besorgen müssen. Bombenattacken seien immer häufiger geworden, überall hingen weiße Flaggen aus den Fenstern, schließlich hätten sich russische Besatzer genähert. „Aber es gab weiter Beschuss.“ Zeit zur Flucht.

Kein Dolmetscher, nirgends

Einige ergatterten Flüge ins sichere Deutschland. Andere nahmen Stunden und Tage in Bussen und Zügen – inklusive erheblicher Kommunikationsprobleme – auf sich. Eine junge Frau schlug sich bis Magdeburg durch. Dort irrte sie umher, da kein ukrainischer Gebärdendolmetscher zu finden war. Schließlich kam sie in Potsdam unter, wo es das „Zentrum für Kultur und visuelle Kommunikation der Gehörlosen Berlin/Brandenburg“ gibt.

In Brandenburg und Berlin müssen die gehörlosen Ukrainerinnen und Ukrainer bürokratische Hürden überwinden. Manche warten seit Monaten auf ihre Behindertenausweise. Besonders ärgerlich sei, dass immer noch kein Gehörlosengeld angekommen sei, moniert eine Frau. Mal fehle es an Papier, mal seien die Sachbearbeiter erkrankt, werde ihnen dann erklärt. Überhaupt wundern sich die Geflüchteten, wie viel Papier in Deutschland hin und her gewälzt werde. Aus der Ukraine seien sie digitale Verwaltungsverfahren gewohnt.

Ausflüge, Gottesdienste, Vermittlung, Beratung …

In fast überschwänglicher Gebärdensprache sind sie aber für alles dankbar, was Pfarrer Roland Krusche und sein Team möglich machen. Ute Stein ist Sozialarbeiterin und spricht die Deutsche Gebärdensprache, ihre Kollegin Ihna Huskova dolmetscht, sie spricht ukrainische und deutsche Gebärdensprache.

Roland Krusche ist Pfarrer der Gehörlosen- und Schwerhörigenseelsorge der EKBO; dieser Einrichtung hat der Flüchtlingsrat die Betreuung der gehörlosen Ukrainerinnen und Ukrainer übertragen. Dazu gehören Ausflüge, Besuche in Museen und Theatern, Sportveranstaltungen, Gottesdienste in mehrsprachiger Gebärdensprache.

Krusches Team berät im Dschungel der Sozialbürokratie, vermittelt Kita- und Schulplätze, organisiert Kurse in mehrsprachiger Gebärdensprache, kommuniziert mit Jobcentern und Arbeitgebern. Viele gehörlose Männer, erzählen die Frauen in der Montagsrunde, hätten mittlerweile Jobs bei Tesla in Grünheide gefunden.