Missbrauchsbetroffener: Studie zeigt lediglich „Spitze des Eisbergs“

Bevor das Forscherteam seine Erkenntnisse über Missbrauchsfälle in evangelischer Kirche und Diakonie veröffentlicht, kritisiert der Betroffenensprecher Zander die Datengrundlage.

Detlev Zander, Betroffenen-Sprecher im Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt der EKD
Detlev Zander, Betroffenen-Sprecher im Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt der EKDepd-bild / Thomas Lohnes

Der Betroffenenvertreter Detlev Zander erwartet von der Studie zu Missbrauchsfällen im Raum der evangelischen Kirche nur ein lückenhaftes Bild. Es seien lediglich Zahlen nach Aktenlage ermittelt worden, sagte Zander im Deutschlandfunk und kritisierte damit, dass die Forscher nicht in allen 20 Landeskirchen Zugriff auf alle Personalakten gehabt hätten. Somit werde lediglich die „Spitze des Eisbergs“ sichtbar. Die Studie soll am Donnerstag in Hannover vorgestellt werden.

Zander erwartet ein „Beben in der evangelischen Kirche“. Die Illusion, dass es Fälle sexualisierter Gewalt in großem Ausmaß nur in der katholischen Kirche gegeben habe, sei „ab dem heutigen Tag nicht mehr zu halten“, sagte der Betroffenenvertreter, der dem Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt (BeFo) in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) angehört.

Bereitstellung von Daten mittels Fragebögen schwieriger als ursprünglich angenommen

Ein unabhängiges Forscherteam stellt am Mittag die erste übergreifende Studie zu sexuellem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen in der evangelischen Kirche vor. Sie soll erstmals Berechnungen zu bundesweiten Fallzahlen enthalten sowie Analysen über strukturelle Ursachen von sexualisierter Gewalt in der Kirche und der Diakonie seit Ende des Zweiten Weltkriegs.

Die EKD hatte das Forschungsprojekt 2020 in Auftrag gegeben. Ein EKD-Sprecher erklärte, dass sich die Bereitstellung von Daten mittels Fragebögen schwieriger als ursprünglich angenommen erwiesen habe. Das habe in der weiteren Folge zu Verzögerungen geführt, sodass Forscher auf Basis „umfangreicher Gespräche und Nacherhebungen in den Landeskirchen“ vorgeschlagen hätten, für den letzten Arbeitsschritt in einem der Teilprojekte einen Fokus auf Disziplinarakten zu legen.

Problem: Föderale Aufbau der evangelischen Kirche

Die EKD förderte das Projekt durch eine Zuwendung in Höhe von 3,6 Millionen Euro. Ziel der Studie ist es, eine empirische Grundlage für die Aufarbeitung in der EKD, den 20 evangelischen Landeskirchen und den 17 Diakonie-Landesverbänden zu schaffen.

Zander beklagte, dass der föderale Aufbau der evangelischen Kirche die Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt behindere. Es brauche eine übergeordnete Stelle, die verpflichtend für die Landeskirchen Maßnahmen durchsetzt. Konkret nannte er einheitliche Anerkennungsleistungen als Ziel. „Jede Landeskirche zahlt anderes“, sagte er.

Zander selbst, der sexualisierte Gewalt in einem Kinderheim ausgesetzt war, hat nach eigenen Angaben 20.000 Euro erhalten. Das sei den Taten und deren Folgen nicht angemessen. „Die Täterinstitution muss sehr viel mehr bezahlen“, forderte er.