Flüchtlingsbischof Heße über Ostafrika: Es geht ums Überleben

Es fehlt an Nahrungsmitteln, Zugang zu medizinischer Versorgung und vor allem Zukunftsperspektiven. Der Alltag von Geflüchteten in Kenia ist ein ständiger Kampf.

Der Klimawandel, Terror, bewaffnete Konflikte und fehlende Perspektiven haben viele Menschen in Afrika aus ihrer Heimat vertrieben. Der Sonderbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz für Flüchtlingsfragen, Erzbischof Stefan Heße (57), hat Betroffene in Kenia besucht. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) schildert er seine Eindrücke.

KNA: Sie sind gerade aus Kenia zurückgekehrt. Was ist der beeindruckendste Moment der Reise gewesen?

Erzbischof Stefan Heße: Am beeindruckendsten fand ich die Begegnung mit geflüchteten Menschen. Ihre Not war ebenso spürbar wie die große Dankbarkeit, dass Kenia sie aufgenommen hat und sie dort einigermaßen sicher leben können. Ich habe auch eine ganze Reihe von Christen getroffen, die einen tiefen Eindruck ihres Glaubens vermittelt und deutlich gemacht haben, wie wichtig in den Unwägbarkeiten von Flucht und Vertreibung für sie der Glaube ist. Er ist ihr Ankerpunkt.

KNA: Warum sind die Menschen auf der Flucht?

Heße: Die Geflüchteten stammen aus unterschiedlichen Ländern: aus dem Südsudan, Somalia, der Demokratischen Republik Kongo, Burundi und Ruanda. Sie flüchten aus verschiedenen Gründen wie Krieg, Unsicherheit, andere sind politisch Verfolgte. Auch mussten Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung ihr Land verlassen, weil sie sich dort nicht mehr sicher fühlten. Klimatische Veränderungen gehören ebenfalls zu den Fluchtursachen.

KNA: Was fehlt in den Flüchtlingscamps?

Heße: Es geht vor allem um Ernährung. Im Flüchtlingscamp Kakuma mussten Lebensmittelmengen erheblich reduziert werden, weil die Mittel nicht ausreichen. Es geht ums Überleben. Weitere Aspekte sind Gesundheitsvorsorge und Bildung. Junge Menschen sind sehr dankbar, dass sie überhaupt etwas lernen können. Das gibt ihnen Würde für ihr Leben.

KNA: Eine solch fragile Situation bietet Terrororganisationen wie Al-Shabaab Nährboden. Welche Gefahr geht in Flüchtlingscamps von der Gruppe aus?

Heße: Wir konnten eines der Lager – Dabaab – nicht besuchen, weil dort die Sicherheitssituation als sehr kritisch eingestuft wurde. Es lässt sich nur mit Polizei und starken Sicherheitsvorkehrungen besuchen. Ansonsten wird Kenia als ein relativ stabiles Land eingeschätzt.

KNA: Kenia zählt offiziellen Angaben zufolge knapp 775.000 Flüchtlinge. Im Globalen Norden erhalten diese aber so gut wie keine Aufmerksamkeit. Wie lässt sich das ändern?

Heße: Als Flüchtlingsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz reise ich einmal jährlich in verschiedene Regionen der Welt, um deutlich zu machen, dass es viele Hotspots von Flucht und Vertreibung gibt. In diesem Jahr wollten wir einen Akzent auf Ostafrika setzen. Alleine im Flüchtlingslager Kakuma geht es um rund 300.000 Menschen. Das ist eine riesige Stadt. Dazu kommt die örtliche Bevölkerung, die etwa halb so groß ist. In ganz Ostafrika gibt es fünf Millionen Flüchtlinge. Dazu kommen 18 Millionen Binnenvertriebene. Das verdient Aufmerksamkeit.

KNA: Was lässt sich von Geflüchteten lernen?

Heße: Geflüchtete sind oft sehr starke, resiliente Menschen mit einer starken Motivation. Sie können uns viel geben, wovon wir profitieren können. Darauf sollten wir uns auch vertrauensvoll einlassen.