Expertin: Konflikt mit Russland entwertet Menschenrechte

„Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt“ – die Allgemeine Menschenrechtserklärung hat sich hehre Ziele gesetzt, ist daran aber aus Sicht von Völkerrechtlerin Nußberger gescheitert: Das zeigt vor allem Russland.

Die Ahndung von Menschenrechtsverletzungen hat nach Worten der Völkerrechtlerin Angelika Nußberger ihre Wirkkraft eingebüßt. Insbesondere mit Blick auf Russland zeige sich, dass das europäische Menschenrechtssystem im Ernstfall keinen Schutz für Verfolgte und Unterdrückte bieten könne, schreibt die Juristin der Universität Köln in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Donnerstag). „In dem Augenblick, in dem die Menschen einen europäischen und internationalen Schutz am dringendsten gebraucht hätten, wurden sie alleingelassen.“

Durch die allgemeine Erklärung der internationalen Menschenrechte nach dem Zweiten Weltkrieg habe zwar viel erreicht werden können. Im Hinblick auf „die hochfliegenden Ziele der Anfangszeit“ seien sie allerdings gescheitert, erklärte Nußberger. „Von Fortschritt zu sprechen wäre vermessen, wenn in einem Land wie Russland, das 24 Jahre lang dem europäischen Schutzsystem angehört hat und das noch immer an internationale Menschenrechtsverträge gebunden ist, aus Antragstellern und Beschwerdeführern wieder Helden und Märtyrer werden, weil ihnen niemand hilft und niemand helfen kann.“

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dessen Vizepräsidentin Nußberger von 2017 bis 2019 war, sei dagegen hilflos. „Die nicht gelesenen Urteile stapeln sich. Die russischen Behörden öffnen keine Post mehr, alle Kommunikationswege sind getrennt.“ Als Beispiel führte sie das Urteil zugunsten des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny im vergangenen Jahr an. Darin hatten die Straßburger Richter Russland zu einer Geldstrafe von 40.000 Euro verurteilt, da sich die russischen Behörden weigerten, einen Mordanschlag auf den inzwischen gestorbenen Nawalny im Jahr 2020 aufzuklären. „Aber nichts geschah, keine Antwort, kein Bedauern, noch nicht einmal ein hämisches Verleugnen der Schuld“, so Nußberger.

Inzwischen gibt es nach Angaben der Juristin über 2.600 Urteile des Gerichtshof, die Russland umsetzen müsse. Dabei gehe es um Schadensersatzzahlungen von über zwei Milliarden Euro. „Die Liste ist lang. Anders als früher aber dokumentiert sie nicht, wie Unrecht aufgedeckt und bei Machtmissbrauch Abhilfe geschaffen wird, sondern spiegelt nur die allgemeine Ratlosigkeit wider.“