Wut, Misstrauen, Engagement: Die politische Landschaft verändert sich, die Unzufriedenheit mit Demokratie wächst. Doch der Extremismus-Forscher Oliver Decker widerspricht der These von wachsender Politikverdrossenheit.
Der Rechtsextremismus-Forscher Oliver Decker hat der These von einer zunehmenden Politikverdrossenheit eine Absage erteilt. “Es gibt weniger ein Desinteresse an Politik, das war eher vor 20 Jahren der Fall”, sagte er am Donnerstag im Podcast “Mit Herz und Haltung” der Katholischen Akademie Dresden und der Herder Korrespondenz. “Wir haben es eher mit dem zu tun, was als Wutbürger bezeichnet wir. Und dieser Wutbürger ist heute sehr engagiert. Das politische Engagement hat massiv zugenommen.”
Es gebe in dem Sinne nicht eine Politikverdrossenheit, sondern eine hohe Unzufriedenheit mit der Demokratie, die auch mit einer Zunahme von autoritären Wünschen zusammenhänge, aber gleichzeitig mit einem hohen Engagement von vielen Bürgerinnen und Bürgern in der Politik einhergehe. Die Beteiligung habe zugenommen, etwa wenn man auf die hohe Beteiligung bei den vergangenen Landtagswahlen blicke, “nur leider Gottes gleichzeitig mit einem hohen Misstrauen, Unzufriedenheit, bis hin zur Bereitschaft der Aufkündigung der demokratischen Grundlagen”.
So hätten in der jüngsten Autoritarismus-Studie, mit der Decker und sein Team seit 2002 die Einstellungen der Bevölkerung zu autoritären und demokratiefeindlichen Tendenzen erfassen, drei Viertel der Befragten angegeben, dass sie sich keine Wirkung von ihrem Engagement zu versprechen. Die Ursache dafür sehen sie bei den Parteien und Politikern, erklärte der Direktor des Kompetenzzentrums für Extremismus- und Demokratieforschung an der Universität Leipzig. Das müsse sich die Politik einerseits schon ins Stammbuch schreiben lassen, sei aber auch “ein ungerechtes Urteil, weil es faktisch eine Personalisierung ist, die soziale Probleme an Personen festmacht und nicht an Strukturen”.
Die gegenwärtige Attraktivität extrem rechter Politikangebote bewertete Decker als Symptom gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte. Immer weniger Menschen brächten Akzeptanz für die gewachsene Pluralität der Gesellschaft auf. Solche Tendenzen seien allerdings “nicht nur rechts, sondern auch in den Milieus, die sich selber als links oder liberal verstehen”, immer stärker zu beobachten. “Die Menschen sind überfordert, nicht von der Politik, sondern von einer Entgrenzung im Alltag.”